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Gibraltar

Gibraltar

Titel: Gibraltar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sascha Reh
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Feldberg, dieses eine kleine Prozent – der Profit der Bank –, das haben Sie mir nicht vorenthalten, niemals.
    Und wissen Sie, warum ich das weiß? Weil Ihnen die Bank genauso wichtig ist wie mir. Deswegen habe ich Sie auch zum Generalbevollmächtigten gemacht. Ich habe nie von Ihnen erwartet, in   meinem   Interesse zu handeln, sondern im Interesse der Bank. Deswegen habe ich Sie geholt. Deswegen habe ich Ihnen vertraut. Und deswegen weiß ich, dass Sie mir immer die Wahrheit gesagt haben.
    Sie haben mein Vertrauen nie enttäuscht. Sie haben seit Ihrem Einstieg in die Bank die ganzen achtziger und neunziger Jahre hindurch dafür gesorgt, dass das Unternehmen auf einem soliden Kapitalsockel stand. Sie dürfen nicht glauben, ich hätte das vergessen. Mir kam es nie so sehr auf ein paar Prozent mehr oder weniger an, Feldberg, auch wenn es um die Wahrheit geht. An der Wahrheit verdient man schließlich keine Zinsen, ist es nicht so?
    Ich werfe Ihnen auch den großen Knick Anfang 2006 nicht vor. Es war schließlich nicht Ihre Schuld, dass das Arena-Projekt in sich zusammengefallen ist wie ein Kartenhaus. Soviel ich weiß, haben Sie alles Menschenmögliche getan, Feldberg. Dass eine Stadt, selbst eine so große wie Berlin, keine zwei Mehrzweckhallen braucht, Feldberg, das ist eine glasklare Rechnung, da kann man nichts machen. Es ist nicht Ihre Schuld, dass die Halle am Ostbahnhof viel günstiger gelegen war. Natürlich, man könnte sagen, wir hätten uns nicht so sehr darauf verlassen dürfen. Die Konstruktion, Feldberg, das Geschäftsmodell, waren ja durchaus tragfähig: Finanzierung des Baus durch einen geschlossenen privaten Fonds, Ausschüttung der Rendite durch langfristige Nutzungsverträge mit der Stadt. Das hätte uns für dreißig Jahre über Wasser gehalten. Allerdings nur, wenn wir die Finanzkrise nicht gehabt hätten. Wir haben einfach Pech gehabt, Feldberg. Nicht Ihre Schuld. Sie haben Ihr Bestes gegeben. Wenn ich damals in die Zukunft hätte sehen können, dann hätte ich auch aufgrund meines stark komprimierten einprozentigen Wissens voraussehen können, dass die Halle nicht in der Siemensstadt, sondern am Ostbahnhof gebaut wird. Alberts hätte sich früher aus dem Geschäft zurückgezogen, hätte sich weiter auf den Wohnungsmarkt konzentriert, auf das Mergers-&-Acquisitions-Geschäft, auf die Vermögensverwaltung, das ist schließlich immer unser Kerngeschäft gewesen. Wenn ich in die Zukunft hätte schauen können, dann hätten wir nicht zwei Jahre an Vorbereitungen für nichts und wieder nichts vergeudet. Vielleicht gehört das zu einem Bankier, Feldberg, vielleicht macht genau das den Unterschied zwischen einem guten und einem hervorragenden Bankier: dass er in die Zukunft sehen kann. Ich konnte aber nicht in die Zukunft sehen, und so haben wir uns verrannt, und unsere Kapitaldecke sank und sank, und dann kam Lehman und fegte uns fast von der Platte. Es ist Unsinn, sich an einem läppischen Prozent festzubeißen, Feldberg, das mache ich nicht. Ich werde nicht irgendwelche Ressentiments mit ins Grab nehmen, Feldberg, das wäre lächerlich. »Ein König hört alles nur wie im Traum! Schlafend dringt die Wahrheit heller ihm ins Ohr als wachend.« Wissen Sie, wer das gesagt hat? Bettina von Arnim war das. Erstaunlich, was man alles weiß, ohne es zu wissen.
    Ich habe Sie immer geschätzt als der Mensch, der Sie sind, und ich tue es noch immer, trotz allem. Ich weiß, was Sie getan haben, Feldberg, ich weiß es. Doch wenn Sie mich hören könnten, dann würde ich Ihnen sagen, dass ich Ihnen nichts nachtrage. Ich bin frei von Zorn. Das ist das Privileg meiner Lage, Feldberg: Ich kann mir Großmut leisten. Die Sterblichen lernen nur langsam, was Verantwortung heißt, ihre Abschlussprüfung ist der Tod. Mir wird es nicht anders gehen.
    Das Unternehmen, dessen Untergang Sie gerade verwalten, habe ich zu dem gemacht, was es ist. Was es war, muss man ja leider sagen. Ich habe ein Imperium erbaut, ausgehend von unserem Stammsitz in Berlin, dem großen alten Kontorhaus in der Wielandstraße. Wie ich dieses Haus geliebt habe, jeden Stein, auf dem es steht. Wenn Sie sehen könnten, was ich sehe, Feldberg: Kohorten von Angestellten in Jahrhundertwendekleidung, Dienstboten mit Handwägelchen, das Berlin der Gründerzeit, Pferdekutschen, die ersten knatternden Kraftwagen. Wie gern hätte ich diese Zeit selbst erlebt.
    Ich habe der Bank mein Leben geopfert, sie war der Inhalt all meiner Stunden, und nun, da sie

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