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Gibraltar

Gibraltar

Titel: Gibraltar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sascha Reh
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Tag nichts anderes, als auf Kursschwankungen zu wetten. Der Goldstandard war ja gerade abgeschafft worden, die Fed druckte wie verrückt Geld, um den Vietnamkrieg zu finanzieren. Das macht sie bis heute, der Krieg ist zwar aus, aber glücklicherweise gibt es ja immer neue. Erich jedenfalls war ganz heiß darauf, diese neue Freiheit auszunutzen.
    Ich bekam nicht viel von dem mit, was auf der »Brücke« passierte, aber ich sah es in den Bilanzen. Die Gewinne waren astronomisch. Sie setzten riesige Beträge ein, mir wurde schwindelig davon. Offiziell galt zwar ein Limit, aber niemand hielt sich daran. Es gab noch kein Controlling, kein Reporting, kein gar nichts, und mein Vater war gesundheitlich nicht mehr in der Lage, auf alle Geschäftsbereiche zu achten. Außerdem genoss Erich sein volles Vertrauen. Das war das Hauptproblem. Sagen Sie nicht, dass sich die Geschichte wiederholt, Feldberg. Ich weiß, dass die Geschichte sich wiederholt.
    Als ich nach Erichs Tod die Abteilung übernahm, schaffte ich den ganzen Zirkus wieder ab. Nicht von heute auf morgen, aber innerhalb kurzer Zeit. Ein paar Leute waren entsetzt. Die Bank hatte ihre Gewinne in anderthalb Jahren verdreifacht, es war wie eine Lizenz zum Gelddrucken. Sie hielten mich für verrückt, dass ich das alles aufgeben wollte. Ein paar Mitarbeiter versuchten hintenrum, meinen Vater zu überreden. Aber ich hatte die Aufputschmittel auf den Tischen gesehen, die roten Augen meines Bruders und das schweißglänzende Gesicht, bevor ein Baum seinen Wagen bis zum Kofferraum aufschnitt. Mein Vater hatte mir die volle Verantwortung übertragen, und ich wusste, dass er mit meinem Schritt einverstanden war. Also mussten Leute gehen. Leute, die nicht einverstanden waren damit, wie ich die Bank führte. Es war eine von vielen schweren Entscheidungen, die ich in den langen Jahren treffen musste. Aber wenn ich sie damals nicht getroffen hätte, dann gäbe es heute die Bank nicht mehr, da können Sie sicher sein, Feldberg. Es war damals mein Grundsatz und ist es bis heute geblieben: Wenn die Wertschöpfung draußen ist, wenn man nur noch nach Instrumenten fliegt, dann ist das nicht mehr meine Art von Geschäft. Es muss immer jemanden geben, der startet und landet, der gewährleistet, dass die Passagiere auch wirklich ankommen. Einen, der die Haftung übernimmt. Das war der größte Unterschied zwischen Erich und mir. Ich habe immer in Unternehmen investiert, die sinnvolle und nützliche Produkte herstellen, in Versicherungen, in Hausgesellschaften. Das ist doch der Sinn des Kreditwesens: die Güterproduktion anzukurbeln, den Fortschritt zu finanzieren, den Lebensstandard der Menschen zu verbessern. Ich weiß, dass ich altmodisch bin, aber ich bin stolz darauf. Und ich bin nicht schlecht damit gefahren.
    Es ist schwer, ganz allein verantwortlich zu sein, Thomas. Sehr schwer. Das ist der Hauptgrund, weswegen ich Feldberg in die Bank geholt habe. Es gibt wenige, die den Job gut machen, heutzutage. Es ist unübersichtlich geworden. Damals, als mein Vater noch das Geschäft führte, war es anders. Du hattest das Kreditgeschäft, du hattest die Rohstoffe und die Währungen, das war alles gut zu überschauen. Heute gibt es kaum eine Möglichkeit mehr, jede Sparte bis in die kleinsten Nischen zu verstehen. Ein guter, ein brillanter Manager kann das. Er versteht etwas vom Leveraging und von Termingeschäften, er kann aus dem Effeff die Black-Scholes-Gleichungen anwenden und Arbitrage kalkulieren, er kann gleichzeitig unternehmerisch denken und das Personal strukturieren. Ich weiß nicht mal, wer Black gewesen ist, Thomas, ganz zu schweigen von Scholes. Aber ein Manager – ein richtig brillanter Manager –, der sieht den ganzen Menschen, und gleichzeitig sieht er das kleinste Atom, aus dem der Mensch besteht, und wiederum gleichzeitig die ganze Gesellschaft. Er hat eine Vision von dem Unternehmen, das er sich vorstellt, wie ein Künstler eine Vision haben muss von dem Bild, das er malen will. Und dann muss er die Kraft haben, zu formen, was er hat, und zu beschaffen, was er nicht hat.
    Es ist kein Klischee, dass man dazu ein harter Hund sein muss. Man muss Entscheidungen treffen, die ein paar Leute freuen und ein paar Leute nicht. Manchmal freut sich überhaupt niemand. Ein guter, ein brillanter Manager muss über alldem stehen. Er muss das Unternehmen regieren wie ein König seinen Staat, ständig bereit, ihn gegen Angriffe zu verteidigen, von innen wie von außen. Und weil der

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