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Gibraltar

Gibraltar

Titel: Gibraltar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sascha Reh
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schon früh bemerkt, dass du nicht diesen Weg einschlagen wirst. All der Kummer, den ich dir bereitet habe – den wir uns gegenseitig bereitet haben –, hätten wir uns ersparen sollen. Es ist keine Schande, weißt du, jemand anderer zu sein, als der eigene Vater glaubt und will, ich habe das selbst erfahren. Es war mein eigener Entschluss, zur Bank zurückzukehren, aber ich habe das nie von euch beiden erwartet, von dir nicht und von Stefanie nicht.
    Einmal, da warst du noch ein kleiner Junge, habe ich dich beobachtet. Du hast in der Badewanne gesessen und deine Hände angeschaut. Ich sehe es durch deine Augen: das Faszinosum deiner welligen Haut, die Kreislinien der Papillare. Berge und Täler, die Landschaft deiner Identität, die Werkzeuge, mit denen du dereinst arbeiten und essen, mit denen du lieben und verletzen wirst. Und du hast recht, Thomas, es ist faszinierend. Ich stand Minuten in der Tür, du hast mich nicht bemerkt. In dem Moment hast du mich sehr an mich selbst erinnert. Und ich habe gedacht: Aus dem Jungen wird irgendwas, aber kein Bankier.
    Ich darf das sagen, ich war selbst ein aus der Art Schlagender, in vielerlei Hinsicht. Erich dagegen kam nach unserem Vater: Ausgestattet mit einem unverzagten Herzen und einem klaren kantigen Kopf, in dem die Gedanken niemals im Kreis gingen. Charmant, gewandt, mit einem Schlag bei Frauen und Geschäftspartnern gleichermaßen. Ich sehe ihn vor mir, mit diesen mächtigen Kiefermuskeln, wie er sein Frühstück zermalmte. Vielleicht kam bei Erich, neben seiner Sportlichkeit in allen Lebensbereichen, noch ein wenig Anmaßung dazu. Der unbedingte Wille, der bessere Alberts zu sein, obwohl das Original kaum zu übertreffen war. Ich hatte mit diesem Wettbewerb nie etwas zu tun, ich wollte das nicht. Ich wusste immer, dass Erich seine Sache gut machen würde. Dass er ein Geschäftsmann war, und ich nicht.
    Aber ich brach dann doch mein Medizinstudium ab und stieg in die Bank ein. Das war übrigens mein eigener Entschluss. Du würdest das nicht verstehen, fürchte ich. Nicht intellektuell; sondern weil du fürchten müsstest, ich wollte dir damit sagen, du hättest dich auch so entscheiden müssen. Aber das ist es nicht, Thomas. Dass ich die Bürde auf mich genommen habe, heißt nicht, dass ich es von dir erwartet hätte. Ich dachte: Warum nur ein paar Leuten helfen, wenn man einem ganzen Land helfen kann. Nenn es Idealismus. Viel schwerer wiegt aber wohl, dass ich mit meinen Händen reichlich ungeschickt war. Ich schaffte es, einem Frosch die Augen auszustechen, wenn der Bauch gemeint war. Vielleicht beruhigt es dich, wenn ich dir sage, dass es oftmals nichts als eine Notlösung ist, was zuvor nach nobler Gesinnung aussah. Jetzt ist nicht mehr die Zeit, sich für irgendetwas zu schämen.
    Sie waren sich sehr ähnlich, Erich und mein Vater, auch äußerlich. Allerdings hatten sie unterschiedliche Vorstellungen von der Ausrichtung der Bank. Mein Vater hat nach dem Krieg jeden seiner Kunden noch selbst akquiriert. Er hat ganz von vorne angefangen, nachdem 1945 die jüdischen Kunden der Bank tot oder im Ausland waren. Einmal sagte er zu uns: Sogar die Zahlen musste ich neu erfinden. Er meinte damit die geänderten Regeln des Rechnungswesens, er hatte ein Faible für markige Übertreibungen. Er war unermüdlich, Tag und Nacht hat er gearbeitet. Natürlich waren er und meine Mutter unglücklich, das gehörte sich damals so. Aber seine Arbeitswut war nicht vergebens. Mit der Zeit kamen immer mehr Kunden, immer größere Einlagen. Mühsam ernährt sich das Eichhörnchen. Ende der Sechziger war das Bankhaus Alberts saniert, es expandierte sogar.
    Erich reichte das nicht, er träumte vom Filialgeschäft, auf das mein Vater lange verzichtet hatte. Er wollte Niederlassungen in der Schweiz, in Österreich, in Luxemburg, wahrscheinlich auch in London, aber das habe dann ironischerweise erst ich geschafft. Was er vorhatte, war mit ein paar Krediten nicht zu machen.
    Das war die Zeit, als die Bank ins Devisengeschäft einstieg. Als eine der ersten übrigens. Ich selbst hatte damit nichts zu tun, ich betreute damals die großen Kreditlinien für Unternehmen. Firmengründungen, Fusionen, Übernahmen. Mehr das handwerkliche Geschäft. Mir war es suspekt, über den Wolken zu arbeiten wie Erich. Die hatten sich ein Büro eingerichtet, das sie »die Brücke« nannten, wie beim »Raumschiff Orion«. Ein großer Tischkreis, in der Mitte standen Computerbildschirme. Sie machten den ganzen

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