Gib's mir, Schatz!: (K)ein Fessel-Roman (German Edition)
einfach in der falschen Epoche. Vier Jahrhunderte früher, und man hätte sie als Muse von Rubens gefeiert. Als Vollweib.
Als sinnliche Sensation. Aber in Zeiten von Size Zero blieb ihr nur die Rolle des Freaks. Das Leben war ungerecht.
Eine Minute später stürmte sie hocherhobenen Kopfes aus dem Laden. Sie war den Tränen nahe. »Kauf dir was Schönes«, hatte ihr Mann beim Frühstück gesagt und ihr seine Kreditkarte in die Hand gedrückt. Schließlich war es ihr fünfundzwanzigster Hochzeitstag. Doch es gab nichts Schönes. Nicht für Niki.
Mit einem Schluchzer in der Kehle ging sie an den spiegelndenSchaufenstern entlang. Sie war fünfundvierzig, und sie war kein schlechter Mensch, aber sie musste zugeben, dass sie aussah wie Moby Dick im Trockendock. Was war bloß mit ihr passiert? Sie wusste es nicht. Sie wusste nur, dass sie sich wie schon so oft in ein Kaufhaus schleichen würde, in die Abteilung für Umstandskleider. Dort wurde sie zuweilen fündig. Auch wenn sie aufpassen musste, dass sie nicht wieder ein rosa Hängerchen mit Bärchenaufdruck erwischte.
Schniefend rieb sie sich eine Träne aus dem Auge. Wenigstens Wolfgang hielt zu ihr. Ihr Mann liebte sie, so wie sie war. Mit jedem Kilo. Das nannte man wahre Liebe. So was kannte die Verkäuferin bestimmt nicht, dieses mickrige Häuflein Haut und Knochen, dass sich vermutlich dreimal am Tag erbrach und ihre Abende mit einem Salatblatt teilte.
Als Niki den Duft von frisch gebackenem Kuchen erschnupperte, blieb sie unwillkürlich stehen. Hmm. Es roch buttrig und süß. Wie von einer geheimen Macht gesteuert, betrat sie das Café, dem der Duft entströmte. Mit seinen verstaubten Seidenblumengestecken und den dunklen, schweren Eichenmöbeln schien es eher ein Tortenfriedhof für alte Damen zu sein, doch das war Niki egal. Sie atmete schwer. Die entwürdigende Szene in der Boutique saß ihr noch in den Gliedern. Gut, sie warf inzwischen einen Schatten, der an eine Mondfinsternis grenzte. Aber hatte sie nicht auf den Schreck eine kleine Belohnung verdient? Das bisschen Kuchen.
Am Tresen wählte sie ein Stück Cappuccinotorte und zwei Mandelhörnchen aus. Dazu bestellte sie einen extragroßen Latte Macchiato. Dann verzog sie sich in eine ruhige Ecke. Sobald das herrlich sündige Zeug vor ihr stand, waren alle Bedenken verflogen. Was gab es Besseres als den sahnigenGeschmack von Cappuccinotorte auf der Zunge? Was konnte befriedigender sein als das tiefe Behagen, die letzten Krümel eines Mandelhörnchens mit einem großzügig gesüßten Schluck Latte macchiato runterzuspülen?
Essen ist der neue Sex, sagte Niki immer. Allerdings verschwieg sie lieber, dass es die einzige Variante von Sex war, die ihr geblieben war. Wolfgang hatte sie seit Jahren nicht mehr angerührt. Aber war das nicht normal, nach zweieinhalb Jahrzehnten Ehe und einer erwachsenen Tochter? Es war doch viel wichtiger, dass sie eine wunderbare Freundschaft verband. Wenn sie zusammen im Bett lagen und fernsahen, Niki mit einer Tafel Schokolade und ihr Mann mit seinem Laptop, fehlte ihnen nichts zum Glück. Wirklich nicht.
Sie schob die leeren Teller von sich. Lecker. Doch richtig rund war die Sache noch nicht. Sie dachte kurz nach, dann orderte sie eine Mousse-au-Chocolat-Schnitte. Das Zeug war köstlich. Sogar eindeutig besser als Sex, wenn sie sich an die zwar angenehmen, aber auch schweißtreibenden Leibesübungen am Anfang ihrer Ehe erinnerte. Echte Leidenschaft spürte sie mittlerweile nur, wenn die Geschmacksknospen ihrer Zunge stimuliert wurden. Zum Beispiel von den feinen Aromen einer Käsesahnetorte.
Sie leckte sich die Lippen. O ja. Eigentlich konnte sie noch ein Stückchen Käsesahne vertragen. Kalorien hin oder her, darauf kam es jetzt auch nicht mehr an. Eilig winkte sie die Kellnerin heran und bestellte Nachschub.
Die Käsesahne war eine Offenbarung. Ein Hauch von Creme auf federleichtem Biskuit, abgeschmeckt mit einem Spritzer Zitrone. Der Wahnsinn. Zufrieden lehnte sie sich zurück. Was sich Wolfgang wohl für den Abend ausgedacht hatte?Ob er sie in ihr Lieblingsrestaurant ausführen würde? Ja, ganz bestimmt. Ihr herzensguter Gatte wusste doch, was sie wollte: schlemmen bis zum Pupillenstillstand, eine Flasche Wein und zum Dessert ein, zwei Amaretto. Diese Vorstellung hob ihre Stimmung weiter an. Nur, dass sie immer noch nichts anzuziehen hatte.
Niki zahlte und machte sich auf zum Kaufhaus ihres Vertrauens. Es lag in einer etwas heruntergekommenen Fußgängerzone,
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