Gib's mir, Schatz!: (K)ein Fessel-Roman (German Edition)
hatte, erwiderte sie: »Ist das jetzt der Moment, wo du mir was verkaufen willst? Viagra zum Beispiel?«
Anne arbeitete als Empfangsdame bei einem Urologen, der sich auf Herren mit Potenzproblemen spezialisiert hatte. Entsprechend gehörte die Verschreibung von Viagra und anderen stärkenden Medikamenten zu seinem täglichen Programm, wie Anne ihrer Freundin einmal kichernd erzählt hatte. Die Nachfrage war überraschend groß.
»Quatsch«, zischte Anne. »Ich meine nur – ist es bei euch noch so wie am Anfang?«
Nachdenklich nippte Tess an ihrem Caffè Latte. »Ziemlich indiskrete Frage.«
»Tut mir leid«, entschuldigte sich Anne. »Es ist nur so …«
» … dass die Luft raus ist?«
Anne nickte betreten. Plötzlich überrollte sie eine Welle aus Selbstverachtung und Verzweiflung.
»Ich bin trutschig geworden, stimmt’s?«, brach es aus ihr heraus. »Eine spießige Ehefrau. Eine Langweilernummer. Eine, der keiner mehr hinterherpfeift. Ist es das?«
»Spinnst du?«, protestierte Tess. »Du bist hübsch, sehr hübsch sogar.«
»Danke. Du polierst immer mein Ego, dass ich mich drin spiegeln kann. Trotzdem.«
Tess deutete auf die Speckröllchen, die sich über dem Bund ihrer Jeans wölbten. »Was soll ich denn sagen? Wenn andere in den Spiegel schauen, dann aus Eitelkeit. Wenn ich es tue, ist es Tapferkeit. Mein Job frisst mich auf. Im Gegenzug futtere ich alles in mich rein, was nicht bei drei im Kühlschrank ist. Das einzig Gute ist, dass Bernd auch ein bisschen moppelig gewordenist. Ihn scheint es jedenfalls nicht zu stören, dass ich zugelegt habe. Bei uns ist alles supi soweit.«
Ach nee. Anne beschloss, aufs Ganze zu gehen. Klirrend setzte sie ihre Tasse ab. »Wie oft?«
Nun war Tess völlig entgeistert. »Hallo? Wie – oft? Du willst im Ernst wissen, mit welcher statistischen Häufigkeit es bei Bernd und mir zur Sache geht?«
Der Kellner kam mit der Speisekarte. Tess verscheuchte ihn mit einer wedelnden Handbewegung. Anschließend kramte sie wieder in den Tiefen ihrer Tasche herum, bis sie eine Tube rosa Lipgloss zu Tage gefördert hatte. Wortlos trug sie das Gloss auf. Und ließ sich auffallend viel Zeit damit.
»Du musst nicht antworten«, sagte Anne kleinlaut. »Aber wenn ich ehrlich bin, komme ich nur auf ein, zweimal – im Jahr.«
Tess blieb der Mund offen stehen. Nach der ersten Schrecksekunde warf sie die Tube zurück in die Tasche und begann stumm, etwas an den Fingern abzuzählen. Das Ergebnis schien ihr nicht zu gefallen.
»Was soll’s«, seufzte sie. »Warum soll ich dir was vormachen? Bei uns war es auch nicht viel mehr. Eher weniger. Weihnachten ist öfter.«
Eine Sekunde lang starrten die beiden Freundinnen einander an, dann brachen sie in Gelächter aus. Sie konnten gar nicht wieder aufhören. Die anderen Gäste beäugten sie neugierig.
Anne wischte sich eine Lachträne von der Wange. »Oh Mann, ist das krass!«
Ihre trübe Stimmung war verflogen. Das Lachen hatte sie befreit. Noch vor einer Minute hatte sie das Gefühl gehabt,eine absolute Versagerin zu sein. Doch das Geständnis von Tess ließ ihre Sexflaute in neuem Licht erscheinen. Sie war nicht allein mit ihrem Frust.
»Ja, total krass«, bestätigte Tess und unterdrückte einen neuerlichen Kicheranfall. »Sex ist bei uns so selten geworden wie eine bedrohte Tierart. Mit anderen Worten: kurz vorm Aussterben!«
Wieder prustete Anne los. Ihr Handy klingelte, doch sie ignorierte es. Diese Unterhaltung nahm eine Wendung, mit der sie nicht im Traum gerechnet hätte.
»Wenn man bedenkt«, warf Tess ein, »dass ich deinen Mann mal nackt in der Sauna gesehen habe, kann man’s kaum glauben. Der ist doch so gut bestückt, dass er locker ganze Nächte durchhalten könnte.«
»Tut er aber nicht. Was nützt eine Stradivari, wenn sie nicht gespielt wird? Wir leben wie Brüderchen und Schwesterchen.«
Allmählich wurde Tess wieder ernst. Aufmerksam begutachtete sie zwei junge Mädchen, die gerade die Bar betraten. In hautengen Leggins und bauchfreien Tops. Alles, was männlich war, sah zu ihnen hin.
Anne folgte dem Blick ihrer Freundin. »Die haben das Ganze noch vor sich«, raunte sie Tess zu. »Liebe, Lust und Leidenschaft. Und bei uns soll’s schon wieder vorbei sein?«
Gebannt beobachteten die beiden Freundinnen, wie sich die Mädchen an den Nebentisch setzten und miteinander tuschelten. Offenbar erzählten sie einander von irgendwelchen nächtlichen Abenteuern, wie man aus ein paar Satzfetzen schließen konnte. Als
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