Gib's mir
ich mich verzweifelt im Raum um – doch was oder wen ich suchte, wusste ich selbst nicht so recht. Das Blut rauschte in meinen Ohren. Meine Haut stand in Flammen, glühte vor Angst und Entsetzen. Ich hatte weiche Knie. Mit dem Hintern stützte ich mich auf der Kommode ab, dann rutschte ich auf den Boden.
Ich traute mich nicht, mich zu bewegen. Die eine Hälfte meiner Fenster war ja noch immer ohne Vorhänge. Das Licht war an. Bestimmt war er noch immer da, sah herüber, wartete. Die Bilder dessen, was gerade passiert war, schossen mir durch den Kopf. Was, um alles in der Welt, hatte mich da geritten? Was, zum Teufel, hatte ich bloß getan?
Viel zu lange hatte ich nur einfach so dagesessen, die Knie an meinen nackten Oberkörper gezogen. Schweiß prickelte auf meiner brennenden Haut, bevor mich plötzlich Eiseskälte erschaudern ließ.
Würde ich doch weiter hier leben müssen, gegenüber von einem Perversen, einem Exhibitionisten, einem Voyeur, und soeben hatte ich ihn auch noch aufgestachelt. Ob er mich wohl auch am Tage sehen könnte? Wäre der Stoff vielleicht zu dünn, um mich bei Dunkelheit zu verbergen? Würde er hier einzubrechen versuchen, während ich schlief?
Ich wünschte, ich wäre wieder zurück in meiner alten Wohnung, in Sicherheit bei Jenny und Clare. Ich versuchte, an sie zu denken, wie sie jetzt wahrscheinlich in dem großen, unordentlichen Wohnzimmer hockten. Bestimmt taten sie gerade lauter völlig normale Sachen, fernsehen vielleicht, oder sie waren in der Kneipe oder hatten andere Leute zu Besuch. Ich wurde schon ein bisschen ruhiger. Jenny, hinreißend üppig auf dem Sofa, die sich einen Joint drehte – «einen letzten noch, dann muss ich aber echt in die Falle».
In der Wohnung über mir bewegte sich jemand lautstark. Ein dumpfes Geräusch ließ meine Decke beben, meinen Puls stocken und Angst in mir aufsteigen. Krieg dich ein, sagte ich zu mir selbst, das ist nur das Paar, das hier drüber lebt. Sei nicht albern.
Zitternd zog ich mir mein T-Shirt wieder an und krabbelte über den Fußboden, um die Lampe über dem Tisch auszuschalten und auch die Schreibtischlampe. Die Straßenbeleuchtung ließ ihr bernsteinfarbenes Licht ins Zimmer fallen. Jetzt müsste ich, so hoffte ich wenigstens, wohl unsichtbar sein für ihn.
Kniend reckte ich meinen Hals, spähte hinaus, dorthin, wo er gestanden hatte. Ich seufzte auf vor Erleichterung, als ich feststellte, dass sein Fenster nichts war als ein leeres schwarzes Viereck. So wie meins.
Ihm war langweilig geworden. Es war vorbei. Bald würde ein neuer Tag anbrechen, und dann würde ich an dieses Erlebnis zurückdenken, als sei es nur eine merkwürdige kleine Begebenheit gewesen. Vielleicht wäre mir nicht ganz wohl bei dem Gedanken, irgendwann unvermittelt vor ihm zu stehen, aber etwas Schreckliches würde auch dabei sicherlich nicht geschehen. Ich würde ihn einfach ignorieren; das sollte ja wohl kein Problem sein.
Als ich gerade dabei war, die erst halb fertig aufgehängten Vorhänge zuzuziehen, kam mir ein furchtbarer Gedanke: ein leeres schwarzes Viereck. So wie meins. War sein unbeleuchtetes Fenster die Fortsetzung seiner Nachahmungen? War unser merkwürdiges Spiel noch immer im Gange?
Oder sollte es noch schlimmer als das kommen? War es ein Zeichen dafür, dass er nicht nur sein Fenster, sondern seine Wohnung verlassen hatte? Dass er vielleicht gerade in diesem Moment die Straße überqueren, in den Eingang meines Hauses treten und jemand anderen davon überzeugen könnte, ihm über den Summer der Gegensprechanlage Einlass zu verschaffen?
In der Panik von Gedanken, die einen manchmal nach Mitternacht überfallen, wenn man sich allein in einem dunklen Raum befindet, erschien mir Letzteres mit einem Mal äußerst wahrscheinlich. Ich robbte aus dem Wohnzimmer in meinen winzigen Windfang. Ich bildete mir ein, ihn zu hören: «Tut mir wirklich leid, wenn ich dich gestört hab … mein Schlüssel scheint zu klemmen … kannst du mal eben auf das Knöpfchen drücken … danke, Kumpel.»
Ich kontrollierte die Eingangstür zu meiner Wohnung. Ich hatte sie bereits abgeschlossen. Zur Sicherheit drehte ich den Schlüssel nochmal rum und legte mein Ohr an das Holz, versuchte, etwas zu erlauschen. Ich konnte absolut nichts hören, außer, ganz weit entfernt und leise, das Geräusch eines Fernsehers irgendwo. Keine Schritte. Keine knarrenden Treppen. Kein messerwetzender Geisteskranker, der es möglicherweise auf mich abgesehen hatte.
Ich
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