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Giebelschatten

Titel: Giebelschatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Pimlott überall mit sich umhertrug. Während seines Unterrichts saß sie meist auf seinem Pult und knabberte genüßlich an Unterlagen und Büchern, gab abstoßende Grunzlaute von sich und schien pausenlos stinkenden Ausfluß abzusondern.
    Gwen fand sie widerlich – ein Punkt, in dem sie und ihre Mutter ein einziges Mal einer Meinung gewesen waren. Freilich nur so lange, bis Pimlott der Lady erklärt hatte, Mable sei unverzichtbares Anschauungsmaterial für seine Naturkundestunden. Seitdem hatte das abscheuliche Tier im Hause Muybridge Narrenfreiheit, und nicht einmal Herodes würdigte sie mehr als angestammten Feind seiner Art.
    Pimlott selbst war uralt und stützte sich gebeugt auf einen Stock. Seine Haut hing lose und faltig um die Knochen, als hätte jemand das Fleisch unter ihr hervorgesogen. Auf seinem kahlen Schädel nistete eine häßliche Schuppenflechte.
    Er hing an Mable wie an einem Kind, streichelte während des Unterrichts ihr schmutzig weißes Fell und versank oft hebevoll im feuchten Blick ihrer roten Albinoaugen. So viel Ekel Gwen das Biest auch einflößte, Mable war Pimlotts schwacher Punkt.
    Auch jetzt eilte der Lehrer so schnell ihn die Beine und sein Krückstock trugen zum Pult und warf besorgte Blicke auf sein Schoßtier. Mable lag aufgedunsen auf einer antiquierten Ausgabe von Shakespeares Macbeth, ließ hin und wieder ihren nackten rosa Schwanz pendeln und sonderte aus dem Maul ein farbloses Sekret ab, das träge auf den Umschlag tropfte.
    »Tatsächlich!« rief Pimlott mit Entsetzen in der Stimme. »Seht sie euch an, ganz schwächlich!«
    Gwen nickte artig und Martin unterdrückte ein Grinsen. Mable sah aus wie an allen anderen Tagen, doch wie immer glaubte Pimlott in allem ein Anzeichen für Krankheiten seines Lieblings zu erkennen.
    Zärtlich hob er das gräßlich Tier auf den Arm, wiegte es einen Moment lang wie einen Säugling hin und her, dann schüttelte er entschlossen den Kopf.
    »So geht das nicht«, bestimmte er. »Mable braucht Pflege. Sie muß schleunigst nach Hause. Ich furchte, der Unterricht ist für heute beendet.«
    Mit diesen Worten drehte er sich um, plazierte die Kreatur in seine linke Armbeuge, stützte sich mit der Rechten auf seinen Stock und verließ eiligst den Raum.
    Gwen und Martin sahen sich sekundenlang schweigend an, dann prusteten beide los.
    »Ganz schwächlich«, äffte Martin ihn nach und zog eine Grimasse.
    Gwen kicherte.
    »Heute abend, also?« fragte sie schließlich, nachdem beide sich beruhigt hatten.
    Martin nickte vergnügt. Dann blickte er prüfend auf ihren Rock.
    »Glaubt Madame, daß dies die richtige Kleidung für eine so gewagte Expedition ist?«
    »Leihst du mir eine Hose?« fragte sie.
    Er riß erstaunt die Augen auf. »Gwendoline Muybridge in Hosen!«
     
    Von allen Erniedrigungen, die er im Hause Muybridge während seines Weges zu Ruhm und Reichtum über sich ergehen lassen mußte, war der Tanzunterricht mit Miranda und Nicole zweifellos die übelste.
    Jeden Tag nach Beendigung ihrer Schulstunden mußten Christopher und die beiden Mädchen sich in den Ballsaal des Hauses begeben, wo die Tanzlehrerin, Miß Crust, bereits auf sie wartete. Dann begannen die infernalischen Torturen aus ›Schritt vor, Schritt zurück‹ und ›Drehung links, Drehung rechts‹, geckenhaftem ›Kopf hoch, Kopf herunter‹ und – am schlimmsten von allem – ›Hüfte schwenken und Gesäß straffen‹.
    Hätte Gwen seine Partnerin bei all diesen Albernheiten sein können, vielleicht hätte er sogar Gefallen daran finden können. Aber sie hatte ihre Tanzstunden bereits lange absolviert, gemeinsam mit Martin, und es war sein Pech, daß er erst so spät ins Haus der Muybridges gekommen war. Miranda und Nicole dagegen liebten die Nachmittage mit ihm, und so lange die beiden nicht freiwillig auf die täglichen Stunden verzichteten, sah er kaum eine Erlösung von dieser höchst unangenehmen Pflicht.
    So empfand er vor allem die Tatsache, daß er Miß Crusts Übungen jeden Tag mit zwei Kindern absolvieren mußte – das eine zwei, das andere gar drei Köpfe kleiner als er selbst – als Demütigung. Er fühlte sich erniedrigt und zum Gespött aller gemacht.
    Aber die Gewebefrau hatte ihm gezeigt, daß er sich wehren mußte, wehren mit aller Härte. Daher hatte das Beisammensein mit den beiden jüngsten Töchtern der Muybridges durchaus sein Gutes, denn es gelang ihm schnell, sich das Vertrauen der Kleinen zu erschleichen. Gierig griff er nach ihrer Sympathie, erstahl

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