Giebelschatten
schwarze Käfer. »Das darf doch nicht wahr sein! Der freche Chris ist zurückgekommen, um Onkel Fred zu besuchen!«
Jetzt lachte er wirklich, und Christopher wurde mit einemmal klar, wie überlegen er sich nach den letzten Monaten den Gefährten von einst fühlte.
Er schüttelte Fred die Hand, sagte einige Belanglosigkeiten, dann verlangte er zwei Eintrittskarten.
»Aber ich werde doch von dir altem Rotzbengel kein Geld annehmen«, schnaubte Fred. Christopher hatte gehofft, daß er das sagen würde, denn er mußte auch noch den Kutscher bezahlen, der eine Straße weiter auf sie wartete.
Der Mann führte sie durch den Torbogen, wenige Meter entlang einer schmalen Gasse, über einen winzigen Hof und durch eine Tür, die schief in ihren Angeln hing.
Unterwegs fragte er: »Bist du sicher, daß meine Schätzchen das Richtige für die kleine Lady sind?«
»Todsicher«, erwiderte er. Mirandas Griff war noch fester geworden, hart an der Schmerzgrenze, und sie hatte schon seit geraumer Zeit kein Wort mehr gesprochen. Er fragte sich, was wohl in ihr vorging, nahm aber an, daß er es noch früh genug erfahren würde.
Sie gelangten in einen schmalen, dunklen Korridor, in dem sich Schatten wie trübe Pfützen sammelten. An seinen Wänden befanden sich in Abständen von wenigen Schritte schwere, rote Vorhänge, deren untere Ränder mit schmutzigem Plüsch abgesetzt waren.
Fred zog den ersten beiseite. »Minas, der Riese!« verkündete er lauthals, aber Christopher brachte ihn mit einer knappen Handbewegung zum Schweigen.
Hinter dem Vorhang kam ein grobes, brusthohes Gitter zum Vorschein, hinter dem sich wiederum ein enges, mit scharlachrotem Stoff ausgeschlagenes Kabinett befand. Darin stand ein Bulle von einem Mann, weit über zwei Meter groß, mit Schultern, die zu beiden Seiten die Wände berührten. Er trug einen Lendenschurz aus falschem Leopardenfell und stützte sich knurrend auf eine gewaltige Streitaxt.
Miranda fuhr zusammen, als der Mann ihr zublinzelte, doch dann faßte sie sich ein Herz und lächelte scheu.
Fred schloß den Vorhang wieder und führte sie zum nächsten Kabinett. Darin saß eine Frau, fett wie ein Elefant und mit teigigen Gesichtszügen. Es folgte ein Zwerg, der, so fand Miranda, ganz anders aussah als der auf Christophers Zeichnung, gar nicht so lustig. Im Gegenteil, der kleine Mann schaute sie so tieftraurig an, als laste das Elend der ganzen Welt auf seinen schmalen Schultern.
Nach drei oder vier weiteren Kammern mit Menschen, die entweder zu dick oder zu dünn, zu klein oder zu groß waren, machte der Korridor einen Knick. An der Decke hing ein Schild mit einem Wort, das Christopher schon damals nicht verstanden hatte, und er bezweifelte, daß Fred seine Bedeutung kannte. Miranda aber las es laut vor, und sein Klang machte ihr angst: PANDEMONIUM.
Bereits das nächste Wesen, das Fred hinter einem Vorhang entblößte, bestätigte ihre düsteren Vorahnungen.
Es war eine Kreatur, halb Mann, halb Tier, eine groteske Mischung aus Mensch und Löwe, dicht bewachsen mit rotem Flaum und einer wilden Mähne, die fast bis zum Boden reichte. Die Augen lagen tief und dunkel in ihren Höhlen, und schwere Eisenketten fesselten das Wesen an die Wände des Kabinetts. Als sich die eckigen Kiefer zu einem gutturalen Knurren öffneten, kamen zwei Reihen spitzer, scharfer Fangzähne zum Vorschein. Fred persönlich hatte das Gebiß mit einer Feile bearbeitet.
Miranda aber sah nur einen Dämon, wie sie ihn nicht aus ihren schlimmsten Alpträumen kannte, gestaltgewordener Terror und Gefahr.
Fred warf Christopher einen zweifelnden Blick zu, als er das Grauen auf dem Gesicht der Kleinen sah, doch der Junge nickte nur und lächelte. Hätte er nur hinausschreien können, wie sehr ihn Mirandas Angst befriedigte!
Der Vorhang glitt zu und Christopher zog das Mädchen weiter den Gang entlang. Sie ließ es geschehen, stolperte willenlos hinter ihm durch das Halbdunkel, besessen von schrecklicher Furcht, aber auch Neugier. Was mochte hinter dem nächsten Vorhang lauern?
Als sie es erfuhr, schrie sie in Panik auf. Sofort ließ Fred den Vorhang zugleiten, aber Christopher riß den Stoff erneut beiseite und drückte das Gesicht des Mädchens fest gegen das Gitter.
Etwas schnappte nach ihr, und Miranda roch einen Atem, der unmöglich von einem menschlichen Wesen stammen konnte. Irgend etwas Massiges tobte auf sie zu, sie erkannte zwei Arme und zwei Beine und etwas, das vielleicht ein Kopf sein mochte.
»Stop!« rief
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