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Gier

Gier

Titel: Gier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Garry Disher
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aus, schlenderte die Straße bis zum Quiller Place entlang, vorbei an Restaurants, Buchhandlungen und Designer-Boutiquen. Er trug einen Mantel, darunter einen bequemen, graubraunen Tweedanzug, ein weißes Hemd und einen einfarbigen Schlips. Dazu braune Schuhe. Ein Outfit für alle Gelegenheiten. Er hätte ein Buchmacher, ein Geschäftsmann, oder ein Klient auf dem Weg zu seinem Anwalt sein können.
    Er hatte sein Aussehen verändert. Das feine strohfarbene Haar, das er sich oft einfach nur mit der Hand aus der Stirn schob, wirkte durch das Haaröl nun viel dunkler, war straff nach hinten gekämmt und klebte förmlich auf seiner Kopfhaut. Auf einer seiner knochigen Wangen hatte er einen kleinen Fleck Ruß aufgetragen. Er trug eine Brille mit Metallgestell und Fensterglas. Der Rahmen war leicht verbogen. Sein Gesicht wurde somit zu einer Fassade aus verfälschten, widersprüchlichen aber wegführenden Details.
    Er ging einmal über den Quiller Place. Er war einen Block lang und an jedem Ende mündeten Straßen in den Platz. An der Nordseite standen Wohnhäuser, in einem befand sich die Kanzlei von Finn und der Frau namens Reid. An der Südseite lagen die Hintereingänge, Höfe und Kundenparkplätze der Geschäfte der Toorak Street. Das war gut so; es würde wenig potentielle Zeugen geben. Dann erkundete Wyatt den Block nördlich und den Block südlich des Quiller Place, auf der Suche nach Zufahrtstraßen, Sackgassen und Einbahnstraßen.
    Um fünf vor drei blieb er vor Nummer 5 stehen. Es war ein restauriertes Haus der King-Edward-Epoche wie die auf der anderen Straßenseite. Das Mauerwerk war glatt und sauber, das Holz in traditionellen Farben gestrichen. Vor dem Haus war eine Kiesauffahrt mit Parkplätzen für zwei Autos. Ein Wagen parkte dort, ein pastellgrüner Mercedes mit einem Nummerschild, auf dem FINN stand. Neben der Eingangstür hing eine Messingplatte, auf der die Worte ›Finn & Reid, Rechtsanwälte und Notare‹ eingraviert waren. Anna Reid, dachte Wyatt. Finns Vornamen kannte er nicht.
    Auf einem kleineren Schild stand zu lesen: ›Bitte eintreten‹. Er drückte die schwere, schwarzglänzende Tür auf und kam in einen langen Flur. Die Luft, zentralbeheizt, roch nach neuen Teppichböden, Farbe und Möbelpolitur. Ein Geldsegen in jüngster Vergangenheit, vermutete er. Regale und Heizungskörper schimmerten im Flur. Er hörte, wie die Finger eines Profis über einer Computertastatur innehielten: »Kann ich Ihnen helfen?«
    Aus einem kleinen, mit Teppichboden ausgelegten Zimmer rechts der Eingangstür sah ihn eine Empfangsdame an. Das hier war das Designer-Punk-Viertel von South Yarra: Die Empfangsdame hatte kunstvoll ungeordnetes schwarzes Haar, trug schwarze Strümpfe und einen schwarzen Rock, eine gestreifte Weste über einem scharlachroten Lycra-Top, silberne Armreifen und vier Ringe in jedem Ohrläppchen. Um die Augen hatte sie pflaumenfarbenen Lidschatten aufgetragen, der den Eindruck einer Prellung suggerierte. Sie kaute selbstvergessen Kaugummi, aber ihr Lächeln war echt.
    Als Wyatt sich ihrem Schreibtisch näherte, runzelte sie die Stirn. Die verbogene Brille und die verschmierte Wange brachten sie aus der Fassung. Ihre Finger fuhren hoch, um ihr Haar zu ordnen. Wyatt sagte: »Sie wollten versuchen, mich um drei Uhr für ein Gespräch mit Mr. Finn dazwischenzuquetschen.«
    Sie schnippte mit den Fingern, erinnerte sich. »Mr. Lake?«
    »Das ist richtig.«
    Mit einem verlegenen, halben Lächeln schaute sie auf einen Punkt neben seinem Ohr. »Wenn Sie im Wartezimmer Platz nehmen wollen. Ich werde Mr. Finn sagen, daß Sie hier sind.«
    Wyatt streifte seinen Mantel ab und stellte sich an das Fenster des Wartezimmers, ignorierte die skandinavischen Ledersessel. Automatisch überprüfte er das Fenster und die Decke. Wie er erwartet hatte, gab es ein Alarmsystem. In einem Zimmer irgendwo entlang des Korridors redete und lachte eine energische Stimme. Finn? Stand der Safe in seinem Büro? Würde er Wyatt dort hin bitten oder in einen Besprechungsraum? Wie auch immer, all das war ein Teil des Versuches, die Hintergründe zu recherchieren. Wyatt wollte Kenntnisse aus erster Hand über den Grundriß, einen Eindruck von Finn, ein Gefühl für den Job an sich. Es war kein bedeutender Job, aber der beste, der ihm in den letzten Monaten angeboten worden war. Wenn es schiefgehen sollte, dann nicht, weil die Vorbereitung zu wünschen übrig ließ.
    Er musterte den Rest des Zimmers. Blasse Tapeten, reproduzierte

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