Giftweizen
zurück und schwieg.
Doch auch bei ihm konnte Judith Brunner sehen, wie sich seine Gesichtszüge entspannten, als hätte er der Welt verziehen. Wenig später begann Eduard Singer zu reden. Er bestätigte die Geschichte seiner Frau, das Verbrechen an Jenny Holl und ihren Identitätswechsel.
Als Judith Brunner ihn nach den damaligen Schüssen auf Otto Holl fragte, gab er auch das unumwunden zu. »Dann frage ich Sie jetzt noch einmal: Wie haben Sie den Holl nach seiner Entlassung gefunden?«
Dieses Mal antwortete Singer: »Der Pfeiffer, das damals entwischte Schwein, hat mir mit Holls Auftauchen gedroht, falls ich nicht ›Schmerzensgeld‹ zahlte. Dass Holl nicht selbst erschien, zeigte mir, dass meine jahrzehntealte Drohung noch immer zog. Nun, dass Holl zusammen mit Pfeiffer wohnte, hatte der ganz nebenbei fallen lassen. Eigentlich hatte er damit nur sagen wollen, dass ich mich nicht vor ihm fürchten müsste, wenn ich immer brav zahlte. Zum Schein bin ich auf den Handel eingegangen und hatte dann leichtes Spiel mit Pfeiffer. Bei dem Zug, den er beim Weinbrand tags darauf vorlegte, brauchte ich nicht lange auf seinen Tod zu warten. In seiner Jackentasche habe ich sogar noch den Zuweisungsschein für die Wohnung gefunden. Aber auch so hätte ich mit ein paar Telefonaten Holls Unterkunft aufgespürt, nachdem ich die Bestätigung hatte, dass er in Gardelegen untergekommen war. Nur, so ging alles schneller.«
»Und?«
»Hm, nachdem ich Pfeiffer nahe der Stelle, an der seinerzeit Holl meinen warnenden Worten nicht genügend Glauben schenkte, im Wald entsorgt hatte, bin ich sofort weiter in die Stadt und habe gegenüber seiner Bude gewartet. Die Beine musste ich mir gar nicht erst in den Bauch stehen, denn schon nach ein paar Minuten machte sich der Holl in Richtung Kneipe auf den Weg.«
Da Singer zögerte, machte Judith Brunner etwas Druck: »Sie hatten Otto Holl in Gardelegen entdeckt. Folgten ihm. Und dann? Wie konnten Sie ihn vergiften? Woher wussten Sie, dass der Tote bei den Lindenlaub-Bestattungen liegt?«
»Ich habe aufgepasst, welches Auto ihn abgeholt hat«, beantwortete Singer sofort die letzte Frage.
»Wie? Sie haben aufgepasst? Das müssen Sie uns von Anfang an erzählen!«
»Ihnen ist doch klar, dass ich den nicht zum Spaß beobachtet habe! Seit dreißig Jahren träumte ich davon, die beiden Dreckskerle zu erledigen. Malte mir aus, wie ich sie mit meinen eigenen Händen umbringen würde. Und eigentlich war das Ende auch für Holl viel zu leicht: Er war schon völlig besoffen, als ich mich gut zwei Stunden später neben ihn setzte, doch meine Großzügigkeit, ihm ein paar Schnäpse zu spendieren, hat er immer noch lallend angenommen. Hat mich natürlich nicht erkannt, das Schwein. Dachte im Suff sogar, ich sei der Wuttke, wegen der Finger.« Eduard Singer hob seine Hand kurz hoch und deutete ein Lächeln an. »Na gut, wir hatten uns auch drei Jahrzehnte nicht gesehen ... Holl hat nicht gemerkt, dass er vergiftet wurde. Ich bin einfach raus aus der Kneipe und habe gewartet. Eine Stunde danach kam der Notarzt, wenig später der Leichenwagen und ich war informiert, wo Holl hingeschafft wurde.«
Einen Moment war nur das schleifende Geräusch der Kassette zu hören.
Dann fragte Judith Brunner: »Und, Heino Wuttke. Was war mit dem?«
Eine abwertende Geste unterstrich, was Eduard Singer von dem Mann hielt. »Das war einer von Holls brutalen Schlägern. Pfeiffer hatte ihn zu mir geschickt, damit er seinen Forderungen ein ›bisschen‹ Nachdruck verlieh. Der Kerl drohte sogar damit, Hella wehzutun – das verzeihe ich keinem Mann. Wuttke ist mir an die Kehle gegangen und hat damit unmissverständlich klargemacht, dass ich keine Chance hätte, mich der Zahlungen zu verweigern. In dem Moment wurde mir klar, dass er recht hatte. Mein Vorhaben, nur Holl und Pfeiffer büßen zu lassen, war so nicht mehr durchführbar. Wer weiß, wie viele es noch von Wuttkes Sorte gab? Ich musste die Initiative ergreifen und schnell handeln. Schon als er mich losließ, wusste ich, was zu tun war ... Zunächst einmal versprach ich ihm ein lukratives Extra-Sümmchen, wenn er mir nur eine Woche Zeit ließe. Er ging darauf ein. Nun hatte ich die Zeit, mich auf das Wiedersehen vorzubereiten.«
Judith Brunner sah ihren Kollegen abwägend an. Das Resultat dieser Vorbereitungen kannten sie bereits.
Dr. Grede blätterte in seinen Notizen und versuchte, weiter voranzukommen. »Wenn ich mal kurz vorwegnehmen darf: Sie haben Wuttke wegen seiner
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