Bel Ami
Prolog
»Mach mal Platz, alter Mann! Hier kommt ja keene Sau mehr durch.«
Er dreht sich nicht um, rutscht bloß den Stuhl näher zum Fenster, vor das die Jungs ihre nasse Wäsche gehängt haben. Tomek, Marek oder Martin – egal. Sie klingen gleich, sie sehen gleich aus. Glatzköpfig, muskulös und tätowiert. Nachts wird mindestens einer von ihnen sein Bett zum Quietschen bringen, meist übernimmt einer der anderen den Rhythmus. Wenn Detlef Glück hat, ist es nach zehn Minuten wieder still. Dann bleiben ihm weitere fünfzehn oder 20 Minuten, um einzuschlafen. Gelingt es ihm nicht, wird ihn das laute Schnarchen von Tomek, Marek oder Martin noch stundenlang wach halten. Die Nächte sind schlimm. Die Gedanken stürzen sich auf ihn wie ausgehungerte Tiere, schlagen ihre Zähne in die immer gleichen Wunden, zerren an den Rändern seines Verstandes.
Ein Wassertropfen löst sich von der Wäsche und tropft auf sein Knie. Er sieht hinaus, das Licht schwindet allmählich, kleine Eisblumen haben sich in den Ecken der Scheibe gebildet. Hinter ihm werden Stühle gerückt, Papier raschelt, Karten klatschen auf den Tisch.
»Wir spiel’n mit null ouvert und ramschen! Wer is’n vorne?«
»Wenn de schon alles selber bestimmst, kannst de dit ja wohl och!«
«Krieg dich ein, Mann, und fang an!«
Er verlässt seinen Platz vor dem vergitterten Fernster und dreht sich um. Das Papier mit den silbernen Schneeflocken, in das Simone das Weihnachtspaket gewickelt hatte, liegt auf dem Boden. Sein Versuch, dem Raum weihnachtliche Stimmung zu geben, ist kläglich gescheitert. Der Tisch ist wieder nackt und grau. Marek sieht noch immer eingeschnappt aus. Die Jungs scheinen alles um sich herum vergessen zu haben: den Knast, die Enge, den vierten Mann im Raum.
Er legt sich auf sein Bett und bedauert, dass er nie viel Spaß am Lesen gehabt hat. Hilflos überlässt er sich den Gedanken. Simone. Warum hat sie sich vorhin nicht umarmen lassen? Wird er auch sie noch verlieren? Was hat er ihr auch noch groß zu bieten? Nichts von dem ist geblieben, was sie immer an ihm geliebt hat. Geld, Reisen, spannende Bekanntschaften, Witz und Charme, ein unerschütterliches Selbstbewusstsein. Er ist bloß noch ein alter Mann im Knast, 25 Jahre älter als sie. Warum ist sie die ganzen Jahre bei ihm geblieben, hat ihm einen Sohn geboren, ihm die unzähligen Affären und Lügen verziehen? Wenn es nur der Luxus und ein aufregendes Leben waren, dann gibt es jetzt tatsächlich keinen Grund mehr, zu bleiben.
Sie ist immer noch schön. Wann hat er ihr das das letzte Mal gesagt? Vermutlich, als der Prozess gegen ihn begonnen hat. Als ihm bewusst wurde, wie schlecht es um ihn steht. Hat er je geglaubt, jemand könne ihn lieben? Ihn, Detlef Uhlmann? Er hatte Geld, sehr viel Geld, und er hat es großzügig ausgegeben, für Autos, Frauen, Drogen und rauschende Feste, für seine Frau, sein Kind und seine Freunde. Alle haben etwas davon gehabt, haben sich ein Leben auf seinem Erfolg aufgebaut, haben genossen, profitiert und ihn dafür geliebt. Dafür! Er selbst hat sich dafür geliebt, hat sich für den witzigen, charmanten, großzügigen und selbstbewussten Mann gehalten, dem die Welt zu Füßen lag, der es verblüffend leicht zu einem der bekanntesten Bordellbesitzer Deutschlands gebracht hatte. Nun scheint nichts mehr davon wahr zu sein. Sein Selbstbild entpuppt sich als Lüge, als Farce, als Mantel über der eigenen Unzulänglichkeit. Zum ersten Mal in seinem Leben fühlte er sich wie ein Trottel, ein Gescheiterter, wie einer, der dem Spiel von der Ersatzbank folgt.
Jonas, seinem Sohn, ist es wahrscheinlich egal, was er trägt: Armani-Anzug oder Anstaltskluft. Trotzdem hat er immer geglaubt, Jonas mit teuren Geschenken über seine häufige Abwesenheit hinwegtrösten zu müssen. Er hat sich die Liebe seines Kindes kaufen wollen. Wo ist Jonas heute gewesen? In der Schule oder bei einem Freund? Schämt er sich, weil sein Vater im Gefängnis sitzt, oder ist es ihm einfach egal?
»Scheiße Mann, vorhin haste Pik nich’ bedient!«
»Du hast doch’n Arsch offen. Kuck doch nach, wenn de willst!«
Detlef dreht sich zur Wand.
Vorhin im Besuchszimmer hat er kaum etwas sagen können, hat Simone nur schweigend zugehört. Sie hat von Kündigungen gesprochen, Kontosperrung, geplatzten Verträgen und offenen Rechnungen und auch von Diederich, dem Berater, dem er wie ein Trottel vertraut hat. Ihre Hände sind nervös über den Tisch gewandert, immer wieder in ihrem
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