Gilbert, Elizabeth
meine
Rechnungen und die meines Mannes und all die Rechtsanwalts- und
Beratungshonorare nicht über den Kopf wuchsen ... Aber eine eigene Wohnung zu
haben, war entscheidend für mein Überleben. Ich betrachtete sie geradezu als
Sanatorium, als Genesungsheim für meine Wiederherstellung. Ich strich die
Wände in den wärmsten Farben, die ich finden konnte, und kaufte mir jede Woche
Blumen, so als würde ich mich selbst im Krankenhaus besuchen. Meine Schwester
schenkte mir zum Einstand eine Wärmflasche (damit ich in meinem kalten Bett
nicht so allein wäre), und jede Nacht schlief ich mit diesem Ding vor meiner
Brust, als müsste ich eine Sportverletzung auskurieren.
David und ich hatten uns endgültig getrennt. Oder vielleicht
auch nicht. Inzwischen kann ich mich kaum mehr erinnern, wie viele Male wir
uns in diesen Monaten trennten und wieder zusammenkamen. Aber es zeichnete sich
ein Muster ab: Ich trennte mich von David, gewann meine Kraft und Zuversicht
zurück, und seine Leidenschaft entbrannte (aufgrund meiner Kraft und
Zuversicht) aufs Neue. Respektvoll, nüchtern und voller Verständnis erörterten
wir dann die Möglichkeit, »es noch einmal zu versuchen«, stets mit einem neuen
vernünftigen Plan zur Minimierung unserer scheinbaren Unvereinbarkeiten. Weil
es uns so wichtig war, es hinzukriegen. Weil es doch einfach nicht sein
konnte, dass zwei Menschen so verliebt ineinander waren und dann nicht für
immer glücklich wurden! Es musste doch funktionieren, oder? Wiedervereint und
mit neuer Hoffnung verbrachten wir ein paar überglückliche Tage miteinander.
Oder zuweilen gar Wochen. Aber schließlich zog sich David wieder von mir
zurück und ich klammerte mich an ihn (oder aber ich klammerte mich an ihn und
er zog sich zurück - wir kriegten nie heraus, wie das Ganze losging), und ich
war wieder völlig zerstört. Und er war wieder weg.
Während der Zeiten jedoch, in denen wir getrennt waren,
übte ich - so schwer es mir fiel -, allein zu leben. Und diese Erfahrung
brachte einen inneren Wandel in Gang. Allmählich spürte ich, dass ich - auch
wenn mein Leben noch immer einem Unfall am New Jersey Turnpike während des Urlaubsverkehrs
glich - nahe daran war, ein souveränes Individuum zu werden. Wenn ich mich
nicht gerade mit Selbstmordgedanken wegen meiner Scheidung oder meines Dramas
mit David herumschlug, fühlte ich mich sogar irgendwie froh angesichts all der
freien Momente und Freiräume, die sich auftaten und mir erlaubten, mir die
radikal neue Frage zu stellen: »Was willst du eigentlich machen, Liz?«
Die meiste Zeit (die durch meinen Ausstieg aus der Ehe
noch immer so belastet war) wagte ich nicht einmal, auf diese Frage zu
antworten, freute mich nur heimlich, dass es sie gab. Und als ich schließlich
zu antworten begann, war ich zunächst vorsichtig. Nur in kleinen
Babyschrittchen erlaubte ich mir, meine Bedürfnisse zu äußern. Etwa so:
Ich will einen Yogakurs besuchen.
Ich möchte diese Party bald verlassen, damit ich nach
Hause gehen und ein Buch lesen kann.
Ich will mir einen neuen Federkasten kaufen.
Und dann bekam ich auch immer wieder dieselbe komische
Antwort:
Ich möchte Italienisch lernen.
Seit Jahren hatte ich mir gewünscht, Italienisch zu können
- eine Sprache, die ich schöner finde als Rosen -, nie aber gelang es mir, das
auch sachlich vor mir zu rechtfertigen. Warum paukte ich nicht Französisch
oder Russisch, Sprachen, die ich schon Vorjahren gelernt hatte? Oder lernte
Spanisch, um besser mit Millionen Lateinamerikanern kommunizieren zu können?
Was wollte ich denn mit Italienisch? Schließlich
zog ich ja nicht nach Italien. Praktischer wäre es, Akkordeon spielen zu
lernen.
Aber warum musste es immer für alles praktische Gründe
geben? All die Jahre war ich eine so eifrige kleine Soldatin gewesen - hatte
geschuftet, produziert, nie einen Termin versäumt, mich um meine Lieben, mein
Zahnfleisch und meinen Kontostand gekümmert, die Wahlen und so weiter. Soll es
im Leben denn immer nur um Pflichterfüllung gehen? Brauchte ich in dieser
düsteren, verlustreichen Zeit irgendeine andere Rechtfertigung fürs
Italienischlernen als die, dass es das Einzige war, was mir momentan Vergnügen
bereiten würde? Schließlich erklärte ich ja nicht plötzlich im Alter von
zweiunddreißig Jahren: »Ich will Primaballerina der New York City Ballet
Company werden.« Eine Sprache lernen, das ist etwas, was man wirklich schaffen
kann. Also schrieb ich mich für einen Kurs in einem dieser
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