Gilbert, Elizabeth
Zeitschrift The New Yorker gab es
einmal eine Karikatur. Zwei Frauen redeten miteinander, und die eine sag te zur
anderen: »Falls du einen Menschen wirklich kennen lernen willst, musst du dich
von ihm scheiden lassen.« Natürlich war meine Erfahrung eher das Gegenteil.
Ich würde sagen, dass man sich scheiden lassen muss, wenn man den anderen
wirklich nicht mehr kennen will. Denn so war es bei
mir und meinem Mann. Ich glaube, wir erschraken beide über das Tempo, mit dem
wir uns aus zwei Menschen, die einander am besten kannten, in zwei Fremde
verwandelten, die einander nicht verstanden. Und diese Fremdheit beruhte auf
der entsetzlichen Tatsache, dass wir beide etwas taten, was der andere nie für
möglich gehalten hätte; nicht im Traum hätte er gedacht, dass ich ihn
tatsächlich verlassen würde, und nicht im Entferntesten konnte ich ahnen, dass
er mir das Fortgehen so schwer machen würde.
Als ich meinen Mann verließ, war ich davon überzeugt, dass
wir unsere praktischen Angelegenheiten mit einem Taschenrechner, gesundem
Menschenverstand und ein bisschen gutem Willen in wenigen Stunden lösen
würden. Ich schlug vor, das Haus zu verkaufen und alle Vermögenswerte
fifty-fifty zu teilen; dass wir anders vorgehen könnten, wäre mir nie in den
Sinn gekommen. Er fand diesen Vorschlag nicht fair. Also erhöhte ich meine
Offerte, schlug sogar diese etwas andere Art des Teilens vor: Wie wäre es,
wenn er sämtliche Vermögenswerte übernähme und ich die gesamte Schuld? Aber
nicht einmal dieses Angebot führte zu einer Einigung. Nun war ich wirklich
ratlos. Wie soll man
weiterverhandeln, wenn man schon alle Angebote auf den Tisch gelegt hat?
Jetzt konnte ich nur noch auf seinen Gegenvorschlag warten. Da ich ihn
verlassen hatte, verbot mir mein Schuldgefühl, zu glauben, dass mir auch nur
ein Zehn-Cent-Stück meines in den letzten zehn Jahren verdienten Geldes
zustand. Außerdem war es mir aufgrund meiner neu entdeckten Spiritualität ganz
wichtig, dass wir nicht stritten.
Gegen den Rat aller, die sich um mich sorgten, weigerte
ich mich lange Zeit sogar, einen Rechtsanwalt hinzuzuziehen, weil ich auch das
als feindseligen Akt betrachtete. Ich wollte das alles ganz Gandhi-mäßig
abhandeln. Ganz Nelson-Mandela-mäßig. Allerdings wusste ich damals nicht, dass
sowohl Gandhi als auch Mandela Rechtsanwälte waren.
Monate vergingen. Ich hing in der Luft, wartete auf meine
Erlösung, wollte wissen, wie die Bedingungen lauteten. Wir lebten getrennt (er
war in unsere Wohnung in Manhattan gezogen), aber nichts war geklärt.
Rechnungen stapelten sich, Karrieren gerieten ins Stocken, das Haus kam
herunter, und das Schweigen meines Mannes wurde nur von gelegentlichen
Mitteilungen unterbrochen, die mich daran erinnerten, was für eine
verbrecherisch blöde Kuh ich doch war.
Und dann war da noch David.
All die Komplikationen und Traumata dieser hässlichen
Scheidungsjahre wurden durch das Drama mit David - in dessen Arme ich mich
während meines Abschieds aus der Ehe stürzte - noch vervielfacht. Habe ich
gesagt, »ich stürzte mich«? Damit wollte ich sagen: Ich tauchte aus meiner Ehe
auf und in Davids Arme hinein, genauso wie in einer Comiczeichnung ein Zirkusartist
von einer hohen Plattform in eine winzige Tasse mit Wasser springt und restlos
darin verschwindet. Ich klammerte mich an David, um meiner Ehe zu entkommen,
als wäre er der letzte Hubschrauber, der Saigon verließ. Ich setzte all meine
Hoffnungen auf Rettung und Glück auf ihn. Und, ja, ich liebte ihn. Aber wenn
mir ein stärkeres Wort als »verzweifelt« einfiele, um zu beschreiben, wie ich
ihn liebte, so würde ich es hier verwenden, und verzweifelte Liebe ist ja
immer die anstrengendste Form von Liebe.
Nachdem ich meinen Mann verlassen hatte, zog ich sofort zu
David. Er war beziehungsweise ist ein großartiger junger Mann. Geboren in New
York, Schauspieler und Schriftsteller, mit diesen braunen, feucht schimmernden
italienischen Augen, die mich schon immer (hab ich das schon erwähnt?) um den
Verstand gebracht haben. Gewitzt, unabhängig, Vegetarier, vulgär, spirituell
und verführerisch. Ein rebellischer Dichter-Yogi aus Yonkers. Gottes eigener
sexy Nachwuchs-Baseballspieler. Überlebensgroß. Größer als groß. Oder zumindest
für mich. Als meine beste Freundin Susan mich das erste Mal über ihn reden
hörte, sah sie meine geröteten Bäckchen und meinte: »Oh mein Gott, Süße, da
hast du dir ja was eingebrockt.«
Ich lernte David kennen, weil er in
Weitere Kostenlose Bücher