Gilde der Jäger 02 - Engelszorn
sie ihn endlich freigab, »wirst mich heute Nacht noch einmal so küssen.«
Mit solchen Anweisungen konnte sie leben. »Abgemacht.«
Raphael streichelte ihre Brüste, nahm die beiden Stoffteile in die Hand, die das Oberteil ausmachten, kreuzte sie in ihrem Nacken und verknüpfte sie schließlich mit einem Knoten.
»Ich glaube«, sagte sie und fuhr sich mit der Zunge über die Lippen, spürte, wie sich ihre Schenkel zusammenpressten, »Make-up brauche ich heute nicht.« Wie Diamanten schimmerte der Engelsstaub auf ihrer Haut.
Nachdem der Knoten gebunden war, umfing Raphael sie und drückte ihr einen Kuss auf den bloßen Nacken. Sie hatte sich für eine Hochfrisur entschieden, die sie am liebsten mit einem Paar Stäbchen verziert hätte, aber ihr Haar war dafür zu glatt. Stattdessen steckte sie sich eine mit einer kleinen Wildblume verzierte Haarnadel in die Frisur.
Einfach. Passend. Nicht umzubringen.
Sara hatte ihr die Nadel geschenkt, als sie sie gebeten hatte, den Ring für Raphael zu bestellen. Der Bernstein stammte von einem Händler, der Elena einen Gefallen schuldig war, und dieser besondere Ring hatte zu seiner Privatsammlung gehört. Balli hatte ihr den Wunsch nicht abschlagen können, natürlich nicht, aber es musste ihm wehgetan haben, sich davon zu trennen. Als er jedoch erfahren hatte, für wen der Ring bestimmt war, hatte das natürlich alles geändert… Die Vorstellung, wie sein rundes Gesicht sich zu einem Lachen verzogen hatte, ließ Elena leicht ums Herz werden.
Raphael rieb ihr gedankenverloren über den Bauch, in seinem Ring fing sich das Licht. »Und deine Verletzungen?«
»Alles halb so wild.« Ihr Oberschenkel tat immerhin noch so weh, dass sie Anoushkas Übergriff nicht so schnell vergessen würde, aber die Schnitte an ihren Armen waren schon verschorft.
»Kannst du dich frei bewegen?«
Elena wirbelte herum, griff nach den Messern, die für jedermann sichtbar in dem geschmeidigen Leder ihrer Armscheiden steckten. Zur Hölle mit dem Protokoll. Die Röcke ihres Kleides waren weit genug, vollzogen jede ihrer Bewegungen nach. In hohem Bogen warf sie Raphael das Messer zu.
Mühelos fing er es auf und warf es ihr zurück. Sie versenkte es in der Armscheide, dann probierte sie, ob es ihr wohl schwerfallen würde, an die am Oberschenkel fixierte Pistole zu gelangen. »Kein Problem.«
Als Elena sich erhob, war sie wieder vollkommen von dem Stoff umhüllt, alle Schlitze raffiniert verborgen. »Was meinst du, werde ich meine Waffen heute Abend brauchen?«
Raphaels unverblümte Antwort war ein Schock für sie. »Lijuans Wiedergeborene geistern durch die Säle.«
38
Der Ball fand im Freien auf einem gewaltigen Hof statt, der von niedrigen, hell erleuchteten Gebäuden umgeben war, in denen üppig aufgetafelt worden war und sich auch die Musiker befanden – die Luft war angefüllt mit dem hypnotisierenden Klang der Ehru. Elena konnte nicht umhin, die atemberaubende Einfachheit ihrer Umgebung zu bewundern: Die hübschen quadratischen Pflastersteine waren zu Ehren der Gäste geschrubbt worden und glänzten jetzt in hellem Beige, das gesamte Geviert wurde von Lämpchen erleuchtet, die in tausend verschiedenen Farben strahlten und deren Lichter durch die Sterne am Himmel vervielfacht wurden.
Kirschbäume in voller Blüte – wie ein Wunder – breiteten ihre üppigen rosa Blütenzweige schützend über die Höflinge, wie Diamanten glitzerten die Lichterketten, die um ihre Äste geschlungen waren. Elena pflückte sich eine einzelne makellose Blüte aus dem Haar, die herabgefallen war. »Ganz lässt sich die Wirklichkeit nicht verbergen«, sagte sie und nahm einen Hauch von Moder und Tod wahr, »aber nach außen hin ist es schön wie in einem Märchen.«
»Über den Hof einer Königin spricht man. Der Hof einer Göttin jedoch bleibt unvergesslich.«
Flügel so weit das Auge reichte; ein Engel nach dem anderen setzte anmutig zur Landung an, ihre wunderbare Schönheit wurde durch die elegante Kleidung noch unterstrichen. Sogar die Vampire, die ja selbst recht ansehnlich waren, starrten sie wie verzaubert an. Die wenigen Menschen, die geladen oder als Begleitung erschienen waren, bemühten sich, sich ihre Bewunderung nicht zu sehr anmerken zu lassen – vergeblich.
Vielleicht hätte Elena genauso reagiert, wenn sie nicht gerade selbst neben dem unwiderstehlichsten Mann gestanden hätte. Raphael hatte sich an diesem Abend für Schwarz entschieden, der strenge Ton brachte die Farbe seiner Augen
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