Gillian Shields - Der Zauber der Steine
rund um die alte Abtei, die jetzt so friedlich dalagen, waren durch gigantische Erdauffaltungen entstanden, durch urzeitliche Vergletscherungen und gewaltige Erdbeben. Welche Erschütterungen würden uns noch erwarten? Die Idylle trog.
Wieder fühlte ich mich entblößt und verwundbar, als ob ich dem lauernden Feind hilflos ausgeliefert wäre. Ich versuchte, die Gedanken abzuschütteln und an Maria zu denken. Auch sie musste hier auf dieser Stufe gestanden und in die Landschaft gesehen haben, als sie einst Schülerin in Wyldcliffe gewesen war. Ich fragte mich, was sie wohl über die Schule gedacht hatte, wer ihre Freundinnen waren und ob man sie wegen ihrer Abstammung gehänselt hatte. Was hatte sie in Wyldcliffe gesehen, gefühlt und erfahren, das mir heute helfen konnte?
»Maria?« Ich versuchte durch meine Gedanken Kontakt mit ihr aufzunehmen. »Maria, kannst du mich hören? Sind wir immer noch in Gefahr? Was soll ich tun?« Der Wind fuhr durch die Blätter an den Ästen der mächtigen Eichen, die beide Seiten der Einfahrt säumten, aber ich bekam keine Antwort. Ich versuchte meine Enttäuschung zu unterdrücken und sah auf die Uhr. In diesem Augenblick kam Evie aus Richtung der Ställe auf mich zu.
»Hey«, sagte sie leise und lächelte mich an, aber ihre Augen waren voller Trauer. Ich erwiderte ihr Lächeln. Ich wollte ihr helfen, jetzt wo sie an den Ort zurückgekehrt war, an dem Sebastian gelebt hatte und wo er gestorben war. Allein zu sein musste für Evie unerträglich sein, und ich wünschte, ich hätte gewusst, wie ich sie trösten konnte.
»Sie will keinen Trost, sie will Josh«, flüsterte eine bösartige Stimme in meinem Kopf, aber ich hörte nicht hin. Ich hakte mich bei Evie unter, und wir gingen ein Stück die Einfahrt hinunter. »Erzähl mir davon, wenn es dir hilft«, sagte ich.
Evie drückte sanft meinen Arm. »Danke, Sarah. Du bist wunderbar. Ich weiß nicht, was ich ohne dich machen sollte.«
Gute Sarah. Freundliche Sarah. Genauso musste ich sein – heute, morgen, bis in alle Ewigkeit.
Vier
W ir schlüpften durch das große Tor am Ende der Einfahrt und bogen auf die Straße ein, die ins Dorf führte. Wenn man in die entgegengesetzte Richtung ging, schlängelte sich ein schmaler Weg hinauf in die Moors und zu den Schauplätzen, die sich uns für immer ins Gedächtnis gebrannt hatten: Uppercliffe Farm, wo Agnes ihre kleine Tochter vor den Augen der Welt versteckt, und Fairfax Hall, wo Sebastian seine Kindheit verbracht hatte.
Evie holte tief Atem. »Es ist irgendwie eigenartig«, sagte sie mit gedämpfter Stimme, »diese Gegend ist so wunderschön und gleichzeitig so qualvoll. Ich denke immer wieder daran, wie ich hier zum ersten Mal Sebastian getroffen und Agnes gesehen habe, wie wir unseren ersten Zirkel abgehalten haben … aber jetzt ist alles vorbei.«
»Ist es das wirklich?«
Sie schaute mich leicht verblüfft an. »Es muss zu Ende sein. Ich habe in den Ferien lange darüber nachgedacht. Sebastian wollte, dass ich weitermache, und das werde ich auch tun, für ihn und um meiner selbst willen. Ich muss es einfach versuchen und so weiterleben, wie er es gewollt hätte. Ich muss versuchen, wieder glücklich zu sein, damit sein Tod nicht umsonst gewesen ist. Das war sein Geschenk an mich und meines an ihn. Ich muss es versuchen und so leben, als hätte es Sebastian nie gegeben.«
Es klang wie eine einstudierte Rede, die sie sich selbst wieder und wieder gehalten hatte.
»Aber was ist mit dem Mystischen Weg? Was ist mit deiner Macht?« Evies mystisches Element war das Wasser, und im vorangegangenen Schuljahr war es ihr durch ihren Talisman, eine geerbte kostbare Kette, sogar gelungen, das Heilige Feuer zu beschwören, das Element von Agnes. »Du kannst nicht einfach so tun, als wäre nichts gewesen. Du bist immer noch ein Teil davon.«
»Nein, das tue ich ja auch nicht«, entgegnete Evie und schüttelte den Kopf. »Sebastian zu lieben war das tiefste Gefühl, das ich jemals erlebt habe. Aber ich kann nicht in der Vergangenheit leben. Es ist vorbei. Und ich glaube, dass uns die elementaren Kräfte vielleicht nur deshalb verliehen wurden, um ihn retten zu können, nur für diese Zeit und nur zu diesem Zweck. Um eine unsterbliche Seele zu retten. Und das war es doch wert, oder?«
In ihren Augen schimmerten Tränen, aber Evie schluckte sie herunter. »Ich bin so dankbar, dass wir den Mystischen Weg mitgehen durften, um Sebastian zu helfen. Und ich danke dir und Helen für all das, was
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