Gillian Shields - Der Zauber der Steine
und wusste auch von Evies Verbindung mit Sebastian und dem Hexenzirkel. Aber Josh hatte sich davon nicht abschrecken lassen und selbst in schwierigsten Situationen an Evies Seite gestanden. Und auch jetzt hatte sich daran nichts geändert. Er war für sie da, hingebungsvoll und selbstlos. Ansonsten war Josh ein cleverer Typ, der mit beiden Beinen fest auf dem Boden der Tatsachen stand. Aber nicht nur das, er sah auch verdammt gut aus, was Velvet wohl nicht verborgen geblieben war.
»Bei ihm könnte ich mir irgendwann auch mal eine Reitstunde vorstellen«, Velvets Augen blitzten herausfordernd unter ihrem rabenschwarzen Haarschopf hervor, »und wer weiß, vielleicht kann ich ihm ja auch das eine oder andere beibringen.«
Evies Lächeln erstarb, sie war verärgert. »Du bist also DIE Velvet Romaine? Die aus den Zeitschriften?«
»Genau! Die mit den berühmten Eltern, der verkorksten Kindheit, den Drogenproblemen und den unpassenden Freunden? Genau die.« Velvets dunkle Augen funkelten zornig.
»Entschuldige, ich wollte nicht …«, begann Evie.
»Vergiss es. Das bin ich gewöhnt. Und es geht mir am Arsch vorbei, wie man so schön sagt.«
Ich versuchte die Situation zu entspannen: »Ich bringe dich jetzt besser zum Schlafsaal, Velvet, dann kannst du dich umziehen. Können wir beide noch vor dem Essen miteinander reden, Evie? Wir könnten Helen ein Stück entgegengehen. Hast du schon gehört, dass Miss Scratton die neue Schulleiterin ist? Wusstest du das?«
»Mmm … ja, einige der anderen Mädchen sprachen darüber.« Evie wandte ihren Blick von Velvet ab und sah mich an. »In ein paar Minuten am Tor? Ich warte dort auf dich.«
»Alles klar. Komm schon, Velvet, wir müssen uns beeilen.«
Wir verließen die Stallungen und gelangten durch einen der vielen Seiteneingänge ins Hauptgebäude. Rasch durchquerten wir einen hallenden Korridor und standen schon bald wieder in der schwarz-weiß gefliesten Eingangshalle, von der die breite Marmortreppe in die oberen Stockwerke führte. Ich ging voran.
»Im zweiten Stock sind die Zimmer der Lehrerinnen und ihr Aufenthaltsraum«, erklärte ich Velvet. »Wenn du die Hausdame suchst oder ins Krankenzimmer musst, dann gehst du ebenfalls in den zweiten Stock. Die Schlafsäle sind alle im dritten Stock.«
»Ich hasse Schlafsäle. Ich hasse es, mit jemandem ein Zimmer zu teilen.«
Während wir die gewundene Treppe hinaufgingen, fragte ich mich, wie sich Velvet jemals in Wyldcliffe einleben sollte. So vielen Menschen war hier schon Leid angetan worden, Agnes, Laura, Helen, Evie und selbst der armen kleinen Harriet, die von Mrs Hartle im letzten Halbjahr für ihre Zwecke missbraucht worden war. Sie alle waren wie orientierungslose Vögel im tosenden Sturm gewesen, unfähig, dem Fluch dieses mysteriösen Tales zu entfliehen. In diesem Moment durchfuhr mich ein erschreckender Gedanke: Bald würde ich an der Reihe sein.
»Deine Mutter war auch hier?«, fragte Velvet. »Und deine Großmutter?«
»Beide Großmütter eigentlich«, ich lächelte sie fast entschuldigend an, »und meine Urgroßmutter auch. Ich fürchte, ich bin durch und durch eine Wyldcliffe.«
»Deine Familie muss ziemlich vornehm sein, wenn deine Großmutter Lady Dingsbums war und so.«
»Wahrscheinlich ist die Tatsache, dass dein Vater ein Rockstar und deine Mutter ein Topmodel ist, für die Leute viel interessanter als irgendjemand aus meiner vornehmen Familie. Amber Romaine gilt als eine der schönsten Frauen der Welt, oder?«
»Ja stimmt, vor allem in ihren eigenen Augen«, antwortete Velvet sarkastisch, »sie ist selbst ihr größter Fan.«
Ich war ein wenig überrascht, Velvet so von ihrer Mutter sprechen zu hören. Ich wollte nicht neugierig sein, aber einen Augenblick lang hatte Velvet ihre Maske fallen lassen, und ich hatte einen Anflug von Trauer in ihrem Gesicht entdeckt. »Ihr versteht euch also nicht so gut?«
Velvet zuckte die Schultern. »Es ist kein Geheimnis, dass wir dauernd Krach haben. Warum würde sie mich sonst in all diese Internate stecken? Meine jüngere Schwester Jasmine war immer schon ihr Liebling. Aber sie lebt nicht mehr.« Velvet starrte mich herausfordernd an. Mir war klar, dass es nichts gab, was ich hätte erwidern können, außer irgendetwas Abgedroschenes.
»Ich habe davon gehört. Es tut mir wirklich leid.«
»Tja. Wahrscheinlich sind wir uns einfach zu ähnlich, Amber und ich. Und eine Tochter im Teenageralter zu haben stand bei ihr einfach nicht auf dem Programm. Lässt
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