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Ginster (German Edition)

Ginster (German Edition)

Titel: Ginster (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Siegfried Kracauer
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und der Wirtin wegen handelte ich dem Mädchen nichts ab. Auch war es mir im Grunde lieb, meineLiebe bezahlen zu müssen, denn die unbezahlte hatte ich bisher nicht fertig gebracht, und nun durfte ich für das Geld wenigstens ohne Scheu lieben. ›Du bist der erste nach den Feiertagen‹, sagte Emmi zu mir. Sie sagte auch ›Liebling‹, da sie jetzt offenbar anfangen wollte. Ich log ihr vor, ein Pole zu sein, und betrachtete, um Zeit zu gewinnen, das Zimmer. ›Streut ihr die Blumen der Liebe bei Lebenszeit / Bleibt ihr bewahret vor Herzeleid‹ – der gestickte Wandspruch über dem Bett verlieh mir eine gewisse Sicherheit, die durch die Gegenwart einiger mir bekannter Parfümfläschchen noch erhöht wurde. Angeheimelt näherte ich mich dem Fensterbrett, auf dem ein Tannenzweig und ein paar kleine Paketchen lagen. ›Weihnachtsgeschenke‹, sagte das Mädchen kurz während des Entkleidens. Die Andeutung eines Tannenbäumchens rührte mich unbestimmt, und ich hätte mich gern mit Emmi nur unterhalten. Aber sie zog mich mit einer Bewegung vom Fenster weg, die mir das beschämende Gefühl einflößte, beim Horchen durchs Schlüsselloch ertappt worden zu sein. Ich begriff: sie wollte mich nicht in ihre Weihnachten einweihen, das Zimmer war ihr Büro … Um halb vier befand ich mich wieder auf der Hauptstraße. Es war Zeit, ins Kino zu gehen. Ein Stück von Tom Mix, ›Der schüchterne Junggeselle‹ wurde gespielt – – Wir wollen zu Abend essen, meine ich …«
    »Warum erzählen Sie mir das?«
    »Durch jenen Besuch erfuhr ich, was ich während des ganzen Kriegs nicht erfahren habe: daß ich sterben muß, daß ich allein bin. Ich kann es nicht weiter erklären, aber damals war jede Angst von mir gewichen, ich war von jeder Abhängigkeit befreit und beurteilte die Dinge richtig – ich hatte den Tod gelernt. Um ein klein wenig bin ich seitdem verändert. Warum ich das eben erzähle – weil ichin diesem armseligen Hafenviertel endlich auf eine Welt stoße, die dem Zustand entspricht, in dem ich mich nach dem Mädchen befand. Hier bin ich beinahe zu Hause. Ich entsinne mich« – Ginster schüttelte sich, als habe er eine Gänsehaut –, »daß ich vor langen, langen Jahren – es war während der Heimfahrt in der Mobilmachungszeit – nachts einem wundervollen Schloß gegenüberstand, das einen leidenschaftlichen Haß in mir weckte. Jetzt erst, im Augenblick jetzt, in dem ich mit Ihnen spreche, verstehe ich meinen Haß. Er galt der Herrscherei der Menschen, die sich zu solchen Schlössern versteigt, und allen den Ordnungen, die das Elend verleugnen. Es gibt übrigens auch Schlösser der Liebe. Abreißen sollte man die Bauten, die schlechte Schönheit, den Glanz, herunter damit. In dem Hafenviertel hier ist nichts eingekapselt, der nackte Grund liegt hier offen. Die Kinder vorhin – wie genau war Ihr Vergleich mit den mikroskopischen Bildern. Aber das Hafenviertel wird sämtliche Schlösser überdauern, die sich so herrlich und groß fühlen. Sie kennen den Tod nicht. Sie müssen zerfallen, auseinanderbröckeln müssen sie, bis sie selbst zu Dreck werden. Eher kann ich mich nicht zufrieden geben. Ja freilich, wenn das Glück aus diesen Gassen aufstiege, wenn die Schönheit ihnen ins Angesicht schaute und doch schön wäre …«
    »Sie sind ein gefährlicher Mensch. Sehr gefährlich sind Sie. Man könnte Sie lieben.«
    »Ich bin nicht gefährlich«, – Ginster lächelte beglückt –, »die Dinge sind es, die Leute.«
    Sie saßen auf der Terrasse des Restaurants Gardanne. Der Kellner, der sie bediente, war ein südliches Männchen, das einer verhutzelten Frucht glich, die im Innern süß schmeckte. Trug er die Speisen auf, so schien er ein kinderloser Onkel, der seine Lieblingsneffen und -nichtenbeschenkte. Manchmal beobachtete er sie heimlich, um zu erraten, ob sie sich etwas Besonderes wünschten. Ginster deutete auf die andere Straßenseite:
    »Der Schneider uns gegenüber stellt seine Anzüge unter den Bäumen zur Schau. Er hat die Hosen ausgepolstert, damit das Publikum die Formen besser beurteilen kann.«
    »Wir trinken Haute-Sauterne?« schlug Frau van C. vor.
    Die Terrasse war mit Gästen gefüllt, die allmählich blasser wurden; als seien sie die hingewischte Staffage auf älteren Photographien. Wie bei der Verwandlung in einer Zauberposse gingen Versatzstücke in die Höhe, flossen Schleiervorhänge herab. Aus der Versenkung kamen die letzten fünf Jahre empor: die Straßenkämpfe, die Versammlungen,

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