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Ginster (German Edition)

Ginster (German Edition)

Titel: Ginster (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Siegfried Kracauer
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der Krawattennadeln wegen, die in ihnen steckten, und wegen der Schädel über den Krawatten. Bei einem Barbier hatte er beobachtet, wie ein Schädel rasiert wurde, ganz glatt, eine Billardkugel. Das war jetzt alles ein Volk. Ginster hatte niemals Völker kennengelernt, immer nur Leute, einzelne Menschen. Als Student war er in der Schweiz allein auf einen Gletscherberg gestiegen, hinter einer Führerpartie her, weil er mit den Spalten nicht Bescheid wußte. Da ihn die Besitzer des Führers fühlen ließen, daß es unschicklich sei, Fußstapfen zu benutzen, die er nicht bezahlt hatte, überholte er sie kurz vor dem Gipfel. Zwei Herren oben, die ihn ohne Begleitung ankommen sahen, huldigten auf französisch seiner Kühnheit. Sie stammten aus Marseille; echte Franzosen. Später schickten sie ihm eine unleserliche Ansichtskarte mit dem Blick auf den Marseiller Alten Hafen. Zu jener Zeit hatte sich Ginster viel mit Hochtouren abgegeben; der Fels fühlte sich schön kalt an, und war man unten im Tal, so machte der schlappe Gang mit dem Eispickel auf die Bevölkerung Eindruck. Durch die unaufhörliche Anwendung von Fachausdrücken war ihm schließlich das Klettern verleidet worden. In seiner Klasse war auch ein Engländer gewesen, ein langer Kerl, der ihm bei der Examensarbeit englische Vokabeln unbemerkt auf einem Zettelchen übermittelt hatte. Der Engländer war nun ausgelöscht.
    Ginster bewohnte in M. ein Studentenzimmer. In dem Stockwerk waren außer ihm ein Eisenbahnassessor, eine Schneiderin und ein Student eingemietet. Das Gesicht des Assessors, das aus Scheitel und Schnurrbartspitzen bestand, sah wie eine begabte Kinderzeichnung aus. Im Frühling mischten sich abends die Lieder aus dem Wirtsgarten unten mit dem Duft der Kastanienbäume vor dem Fenster. Die Zusammenstellung war Ginster so zuwider, daß er schon oft hatte ausziehen wollen – am liebsten in ein Hotel. Aber die Furcht, beim Zimmersuchen in Trübsinn zu verfallen, das erst seit kurzem angebrachte bunte Glasdach am Hauseingang und vor allem die Wirtin hielten ihn stets zurück. Die Wirtin hieß Ulla. Sie setzte sich aus drei übereinander angeordneten Kugeln zusammen, die sich in einen Kegel einbeschreiben ließen. Der Kopf, die kleinste Kugel, hatte die Röte einer Tomate, und lachte die Frau, so beschrieb ihre Schürze über dem Bauch dieBewegungen einer Schiffsschaukel. Wenn Ginster nichts mit sich anzufangen wußte, stellte er sich auf die Straße und beobachtete, wie die Figur von ihren Einkäufen oder dem Gespräch mit einer Nachbarin herangerollt kam. Sie war statisch unmöglich, der Kegel mußte nach vorne überkippen. Ihr Mann Pankraz, ein Herrschaftskutscher, hatte die Dürre einer Stecknadel, die bei den häufigen Streitszenen immer wieder zerbrach. War sie entzwei gegangen, so stemmte Ulla die Hände um die Mittelkugel und drehte sich wie ein Kreisel.
    »Es ist Krieg«, sagte Ginster nach der Heimkehr zu ihr.
    »Der Assessor hat gestern nacht ein Frauenzimmer mitgehabt, mir macht er nichts weis, zwei Gläser habe ich besorgen müssen und feine Sachen vom Delikatessengeschäft. In dem Geschäft ist auch nicht alles sauber, das gibt noch eine schöne Geschichte. Wenn er meint, sich alles herausnehmen zu dürfen, der Herr Assessor, ist er im Irrtum. Aber schick hat er ausgesehen in seinem neuen Anzug, und geschimpft hat er, weil ich erst so spät vom Schneider gekommen bin. Vorhin war er zu Hause, er freut sich, hat er gesagt, morgen muß er einrücken, die Uniform hätten Sie sehen sollen, die er ausgepackt hat, funkelnagelneu, nichts kann ihm schnell genug gehen, er ist doch Reserveoffizier, die Leute werden nichts zu lachen haben, aber bei der Eisenbahn ist’s nicht so schlimm. Ulla, hat er gesagt, richten Sie die Montur fix her und halten Sie mir das Zimmer frei, bis ich wieder im Land bin, der Krieg wird nicht lang dauern, es ist einmal eine Abwechslung, das viele Sitzen war ich schon über. Ein Dreimarkstück hat er mir gegeben, nobel ist er, der Herr Assessor, das Saumensch darf mir nicht mehr über die Schwelle …«
    »Ich bleibe heute abend zu Hause.«
    »Sie werden auch in den Krieg müssen, da gibt’s nichts. Vorgestern ist der Student ausgezogen, der Russe, Ausländer nehme ich nicht mehr. Tote wird’s geben, hat der Assessor gesagt. Vielleicht werden auch die Mieten teurer. Mein Mann fährt einen General, ein Trottel ist er. Glauben Sie, ich hätte kein Kind haben können? Das ganze Geld wird versoffen. Ulla, Sie sind eine

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