GK0085 - Amoklauf der Mumie
Er wirkte wie ein grüngrauer Stumpf. Finger waren keine zu sehen. Die Hände waren wie der übrige Körper eingepackt in das Leinen. Omar Karem konnte noch nicht einmal schreien. Zu tief hatte sich das Entsetzen in seinen Körper gefressen. Die Mumie setzte sich auf, bewegte den Kopf. Gnadenlos starrten die roten Augen den Bahnbeamten an. Die Mumie schwang erst ein Bein über den Kistenrand, dann das andere. Jetzt begriff Omar Karem die Situation, in der er steckte.
»Geh weg«, ächzte er, »geh weg!«
Abwehrend streckte er beide Arme aus. Die Mumie stand in dem Gepäckwagen. Schwerfällig tappte sie auf Omar zu. Karem wich zurück. Zur Tür könnte er nicht. Der Weg war ihm versperrt. Die Mumie folgte ihm. Omar prallte mit dem Rücken gegen das Regal, in dem die Briefe lagen. Für einen Moment verlor er die Übersicht. Genau die Zeit, die der Mumie reichte. Der rechte Arm fuhr mit ungeheurer Wucht vor, knallte gegen den Brustkasten des armen Opfers. Omar Karem wurde förmlich in das Regal gepreßt. Das Holz brach zusammen. Briefe und Päckchen flogen auf den Boden.
Wieder schlug die Mumie zu. Diesmal traf sie Omars Gesicht. Der Schlag war mörderisch. Der Beamte war schon tot, als er den Boden berührte. Sein Blut färbte die Holzplanken. Die Mumie stand für einige Augenblicke still. Ein knurrender, tierischer Laut drang unter dem Leinen hervor. Dann wandte sich die Mumie ab, stakste zurück zu der Kiste und legte sich wieder hinein. Sie schaffte es sogar noch, den Deckel zuzuklappen. Automatisch rastete das Schloß ein. Niemand hatte etwas von dem gräßlichen Mord gemerkt. Und das ewige Rollen der Räder schluckte jedes andere Geräusch.
Die Mumie hatte ihr erstes Opfer gefunden…
***
Professor Cornelius stand auf dem Gang und rauchte eine Zigarette. Mit leerem Blick starrte er durch die Scheibe in die tiefdunkle Nacht. Seine Gedanken waren ganz woanders. In London. Er malte sich schon den Triumph aus, den er bei seiner Ankunft erleben würde. Er würde Vortragsreisen unternehmen, um die Mumie überall zu präsentieren. Er hatte sein Ziel erreicht, Cornelius drückte seine Zigarette aus und zündete sich sofort eine neue an. Eine innerliche Nervosität hatte ihn gepackt. Er warf einen Blick über die Schulter. Tessa hatte die Vorhänge vor die Abteiltür gezogen. Sie wollte schlafen. Tessa, das war auch so ein Problem. Entweder sie spielte mit, oder sie stellte sich gegen ihn. Wenn der zweite Punkt zutreffen sollte, würde man bald ihre Leiche finden.
Er ließ sich nicht von ihr seine Karriere zerstören. Es gab natürlich auch eine dritte Möglichkeit.
Heirat. Tessa war ein hübsches Girl und genau nach seinem Geschmack. Aber das würde sich alles noch zeigen. Der Lärm aus den anderen Wagen drang nur schwach an Cornelius’ Ohren. In der Zweiten Klasse war man wesentlich munterer. Plötzlich wurde am Ende des Ganges die Tür aufgestoßen. Mit hochrotem Gesicht kam der Schaffner herbeigerannt. Professor Cornelius sah ihm an, daß irgend etwas geschehen sein mußte.
»Was ist passiert?« fragte der Wissenschaftler. Der Schaffner wollte erst an ihm vorbeilaufen, überlegte es sich aber dann anders und blieb stehen. Sein Atem ging schnell und keuchend.
»Ein Mord ist geschehen!« stieß er hervor. »Hinten, im Gepäckwagen. Jemand hat den Beamten brutal erschlagen.«
Professor Cornelius zuckte zusammen. In Bruchteilen von Sekunden flammte in ihm ein bestimmter Gedanke auf, den er aber sofort wieder verwarf.
»Hat man den Mörder schon?« fragte er statt dessen.
»Nein. Aber er muß sich hier im Zug befinden.«
»Wenn er nicht abgesprungen ist.«
Professor Cornelius hielt dem Schaffner seine Zigarettenpackung hin, aus der sich der Mann dankend bediente. Cornelius gab dem Schaffner Feuer.
»Ich muß die Polizei verständigen«, sagte er und stieß hastig den Rauch aus.
»Haben Sie Telefon im Zug?«
»Nein.«
»Na bitte. Dann warten Sie ab bis zur nächsten Station. Den Toten kann niemand wieder lebendig machen. Ich schlage vor, Sie schließen den Gepäckwagen ab.«
Der Schaffner nickte. »Ja, das ist gut. Ich werde es gleich machen.«
Er nickte dem Professor noch einmal zu und verschwand. Cornelius wartete, bis er nicht mehr zu sehen war. Dann zog er die Abteiltür auf und knipste das Licht aus. Tessa lag in tiefem Schlaf. Cornelius rüttelte sie an der Schulter. Erschreckt fuhr Tessa hoch. Der Professor ließ ihr kaum Zeit, zur Besinnung zu kommen. Mit wenigen, Worten erklärte er, was sich
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