GK0120 - Die Geisterhöhle
sich das Wochenende kurzweiliger zu gestalten.
Die Übergabe war schnell vollzogen, und die Menschen durften sich wieder in ihre Wohnungen begeben.
»Laßt die Scheiben ersetzen!« rief ihnen Tarras nach. »Sonst finden wir beim nächstenmal zu wenig Ziele.«
Die Rocker grölten.
Dann wurde das Geld geteilt.
»Und was machen wir jetzt, Tom?« fragte Red Bull, Tarras Stellvertreter und Unterführer der Bande.
»Wir holen erst mal Ginny ab.«
Ginny war Tarras »Braut«. Das Girl war neunzehn und verkommen durch und durch. Sie paßte zu der Bande wie die Faust aufs Auge. Ginny – manchmal auch Mutter genannt – machte alles mit.
Red Bull nickte. Er war der Typ, der Befehle brauchte. Denken war nicht seine größte Stärke. Red Bull wog über zwei Zentner und fuhr eine Motoguzzi 850 California. Die pflegte er besser als ein Soldat sein Gewehr. Red Bull hatte brandrotes Haar und stammte aus Irland. Sein Vater war von Beruf Knastologe, seine Mutter hatte er nie gesehen. Er selbst hatte auch schon eine Zelle von innen kennengelernt, bevor er sich den Rockern angeschlossen hatte. Durch einige »Mutproben« war er dann bis zum Unterführer aufgestiegen.
Der vierte im Bunde hieß Fabio Tosta. Er war Italiener und wurde nur Stiletto genannt. Tosta war der schmalste von allen. Er wurde oft unterschätzt, aber das war ein Fehler, denn niemand konnte mit dem Messer so gut umgehen wie Tosta. Daher auch sein Spitzname. In Italien fahndete man nach ihm wegen Polizistenmordes.
Fehlte nur noch Skipper. Er wußte selbst nicht mehr, wie er wirklich hieß. Da er zwei Jahre zur See gefahren war, nannte man ihn einfach Skipper. Hatte er mal keinen Helm auf, so trug er eine Matrosenmütze, die ihm meistens weit im Nacken hing. Skipper war ein Schläger. Seine Fäuste erinnerten an Dampfhämmer, und es gab niemanden, vor dem Skipper Angst gehabt hätte. Nur vor Tom Tarras, dem Karatekünstler, hütete er sich.
Skipper war es auch, der den Vorschlag machte. »Ich wäre dafür, wir fahren heute mal aufs Land. Dort wissen die Leute doch noch gar nichts von uns. Was meint ihr, wie die sich freuen. Na, wie ist es?«
Der Vorschlag wurde begeistert aufgenommen, und Skipper sonnte sich in seinem Ruhm.
Auch Tom Tarras war einverstanden. »Auf geht’s«, rief er. »Dann wollen wir die alten Farmer mal ein bißchen auf Trab bringen!«
Johlend stürzten sich die Rocker auf ihre Maschinen. Sie ahnten noch nicht, daß Skippers Vorschlag für sie grausame Folgen haben würde…
***
Ginny wartete vor der Haustür.
Sie stand dort wie eine Prostituierte und ließ ihren Kaugummi von einem Mundwinkel in den anderen wandern. Sie hatte beide Hände in die Hüften gestemmt und blickte sich immer wieder provozierend um.
In gewisser Weise ähnelte Ginny auch den Straßenmädchen. Der Minirock war giftgrün und wurde von einem breiten Gürtel gehalten. Dazu stand die quittengelbe Farbe des Pullovers in einem perfekten Kontrast. Der Inhalt hätte einer Brigitte Bardot zur Ehre gereicht. Auf gewisse Weise war Ginnys Gesicht hübsch zu nennen, wäre nicht der ordinäre Zug um die Mundwinkel gewesen.
Ginnys Nase war klein und wurde umrahmt von einigen Sommersprossen, die bisher jeder Entfernungscreme getrotzt hatten. Am auffälligsten waren Ginnys Haare. Die langen, rotblonden Strähnen hingen bis auf den Rücken und flatterten – wenn Ginny auf der Maschine ihres Freundes saß – wie eine lange Fahne hinter ihr her.
Im großen und ganzen war Ginny die Attraktion der tristen Londoner Vorstadtstraße. Die Neunzehnjährige war in dieser Slumgegend aufgewachsen. Ihren Vater hatte sie höchstens dreimal im Leben gesehen, und dann war er betrunken gewesen. Die Mutter verdiente ihr Geld in Soho. Früher als Stripperin, heute als Zufallsbraut für Ausgeflippte, die höchstens zehn Schillinge zahlen konnten. Klar, daß dieses Leben auf Ginny abgefärbt hatte. Erziehungsanstalten kannte sie besser als das Alphabet. Als ihr vor einem Jahr ein Zuhälter zu nahe auf den Leib rücken wollte, war Tom Tarras aufgetaucht. Hinterher hatte sich der Zuhälter in aller Form entschuldigt und schleunigst das Weite gesucht.
Tarras hatte Ginny augenblicklich in Besitz genommen. Und Ginny war froh darüber gewesen. Sie hatte jetzt immer Geld und konnte sich kaufen, was sie wollte. Auf die Straße brauchte sie nicht mehr zu gehen, und anfassen ließ sie sich auch nicht mehr.
Ginny gefiel das Leben. An die Gegend hatte sie sich so gewöhnt, daß sie von hier nicht mehr
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