GK217 - Die Geißel der Hölle
Vicky an der Strippe.
»Wie gefällt euch die Geisterstadt?« erkundigte ich mich. Es war ein kleiner Hintergedanke dabei. Ich wollte hören, was es mit dieser Stadt auf sich hatte, und ob für Vicky irgendeine Gefahr bestand.
»Es ist hier irgendwie unheimlich«, sagte mein Mädchen.
Ich erschrak. »Aber es ist doch hoffentlich alles in Ordnung!«
»Du mußt dir keine Sorgen machen, Tony«, beschwichtigte mich Vicky. »Es gibt hier nichts, was uns gefährlich werden könnte. Pueblo Lobo ist vollkommen menschenleer gewesen, als wir hier ankamen.«
Menschen. Vor denen brauchte man sich nicht so sehr in Acht zu nehmen. Das große Übel drohte einem nicht von Menschen, sondern von denen, die keine Menschen waren.
Ich behielt diese Gedanken für mich.
Ich erwähnte auch den schlimmen Traum nicht, der mich so sehr gepeinigt hatte.
Zodiac! Der Name ging mir nicht mehr aus dem Kopf, und seit ich wußte, daß Vicky sich in eine Geisterstadt begeben hatte, war mir unterschwellig klar, daß ich diesem Namen schon sehr bald wiederbegegnen würde.
Und die Umstände werden keineswegs erfreulicher Natur sein.
»Warum kommst du nicht zu uns?« fragte mich Vicky. »Warum setzt du dich nicht ins nächste Flugzeug, das nach Mexiko fliegt, Tony? Ich fühle mich so einsam ohne dich. Komm doch bitte nach Pueblo Lobo. Es hält dich doch nichts in London, oder?«
»Nicht das geringste.«
»Dann kommst du?«
»Ich bin schon unterwegs«, sagte ich lachend, und ich hörte Vicky einen jubelnden Schrei ausstoßen. Ich war tatsächlich schon fast unterwegs, denn ich hatte bereits ein Flugticket nach Chihuahua gebucht. Der Alptraum ließ mir keine Ruhe mehr. Ich wollte in Vickys Nähe sein, bevor ihr etwas zustieß, denn daß sie sich in Gefahr befand, das stand für mich außer Zweifel.
Sie mußte mir noch einmal Mr. Silver geben, und ich schärfte ihm ein, auf Vicky aufzupassen wie auf sein Augenlicht. Als er mir das versprach, legte ich erleichtert auf. Dann fing ich an, die Sachen zusammenzusuchen, die ich nach Pueblo Lobo mitnehmen wollte.
***
Er hatte mindestens sechs Gläser Tequila zuviel.
In der Cantina wurde so viel geraucht, daß man die Luft fast schneiden konnte. Virgil Todd stolperte nach draußen. Es war Abend geworden. Schwarz und bedrohlich wölbte sich der Himmel über Pueblo Lobo. Todd lehnte sich an die weiße Wand und zündete sich eine Zigarette an. Seine Hände zitterten. Schnaps – das war sein einziger Fehler. Er trank zuviel. Er konnte sich nicht zurückhalten. Wenn ihm jemand ein volles Glas hinstellte, dann mußte er es austrinken. Es war wie ein Zwang.
Vorhin hatte er sich von seinen Freunden losreißen müssen, sonst hätte er mit dem Trinken weitergemacht, bis er unter dem Tisch gelandet wäre.
Das durfte er sich nicht erlauben. Nicht heute. Morgen mußte er vielleicht dreißigmal durchs Feuer hetzen, bis die Szene richtig im Kasten war. Dazu mußte er fit sein. Einmal stolpern konnte ihn trotz des Asbestanzuges das Leben kosten.
Todd pumpte seine Lungen mit Zigarettenrauch voll. Bei Nacht erschien ihm die Geisterstadt noch unheimlicher als am Tage.
Mädchengekicher in der Cantina.
Da ging’s jetzt erst so richtig rund. Lorraine West war wohl nicht mehr weit davon entfernt, auf einen der Tische zu springen und ihre Supershow abzuziehen. Sie hatte mal in Las Vegas als Stripgirl gearbeitet, und wenn sie betrunken war, mußte sie immer wieder aufs neue die Hüllen fallenlassen.
Todd grinste. Auch eine Art Zwang, dachte er.
Jemand fing auf einer Gitarre zu spielen an. Flamencoklänge. Rasant und feurig. Bravorufe gellten über den Dorfplatz. Applaus.
Todd stemmte sich von der Wand ab. Er begann mechanisch zu gehen, bemühte sich, das Gleichgewicht zu halten. Der Lärm aus der Cantina ebbte allmählich hinter ihm ab. Stille breitete sich über die flachen Dächer der Gebäude, in denen niemand mehr wohnte, die alle dem Verfall preisgegeben worden waren, obwohl sie noch lange Zeit bewohnbar gewesen wären.
Todd fragte sich, was die Bewohner von Pueblo Lobo bewogen haben mochte, ihr Heimatdorf zu verlassen. Der Mensch schlägt im allgemeinen gern in seiner gewohnten Umgebung Wurzeln. Dies hier alles aufzugeben mußte einen schwerwiegenden Grund gehabt haben…
Der Stuntman nahm noch einen Zug von seiner Zigarette. Dann warf er sie auf die Straße und trat sie aus.
Er fröstelte, obwohl es nicht kalt war.
Mit unsicheren Schritten erreichte er die letzten Häuser. Jetzt erst kam ihm zum
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