Glaesener Helga
Hunden zu tun hatte. Große Hunde, dachte er. Verflucht groß, die mussten Lungen wie Kürbisse haben. Er spähte durch die Halme und meinte, etwas Schwarzes im Türspalt zu sehen. War das eines der Tiere? Nee, so groß wurden die nicht, das gab’s gar nicht. Das war ja ein halbes Rind! Gildo ließ die Stirn auf den gefrorenen Matsch sinken und bemühte sich, sein schlagendes Herz zur Ruhe zu bringen.
Seine Hundekenntnisse stammten aus vielen tristen Erfahrungen. Die schrecklichsten hatte er zum Glück nicht am eigenen Leib erlitten. Da war dieser Norweger gewesen, Leif, den sie den Stotterer nannten, dem hatte ein Bullenbeißer, der zu einer Jagdgesellschaft gehörte, das halbe Gesicht weggerissen. War er auch dran gestorben. Gildo hatte ihm in seiner letzten Stunde die Hand gehalten. Dann dieser glotzäugige Köter, den sie auf den ersten Blick als zahme Töle abgestempelt hatten – und der sich dann in Marie Martins Oberschenkel verbissen hatte: Sie mussten wohl eine Viertelstunde auf ihn einprügeln, bis er von Marie abließ. Da war er schon fast tot gewesen, und Clément hatte trotzdem noch den Kiefer mit einer Eisenstange aufstemmen müssen. Die Töle hatte nicht gebellt, deshalb hatten sie ihre Gefährlichkeit unterschätzt.
Ansonsten konnte man sich auf sein Gehör verlassen: Die Kläffer, die sich einfach nur aufregten und die man mit einem Tritt beiseite fegen konnte, die heimtückischen Grummler, die gereizten Knurrer …
Die Hunde aus dem Haus … waren nicht einzuordnen.
Gildo lag mit der Hüfte auf seinem Bündel, er spürte den Druck der Dose, in der er sein falsches Arsenik aufbewahrte. Seine nervöse Blase meldete sich. Er bildete sich ein, dass der Wind ihm den Geruch von Frühlingsblumen zutrug, aber das war mit Sicherheit ein Wunschtraum, jetzt im Januar. Plötzlich hörte er, wie die Haustür scharrte. Ein kräftiges Geräusch, als hinge sie schief in den Angeln und würde mit Gewalt über den Boden gezerrt. Er hätte hinübergespäht, aber er traute sich nicht. Jemand sprach mit leiser Stimme auf die Hunde ein, um die Viecher zu beruhigen.
Das Bellen wurde leiser, die Gesellschaft entfernte sich, bis schließlich jedes Geräusch verstummt war.
Wäre es nicht so kalt gewesen, Gildo hätte bestimmt noch ein Weilchen auf dem Boden ausgeharrt
– nur um sicherzugehen. Aber der Frost biss und zwickte. Mühsam rappelte er sich auf und humpelte zum Haus. Jetzt gab es keine Wahl mehr. Er musste seine Kleider trocknen. Die Tür war von der Hitze des Feuers verzogen, und er brauchte eine Menge Kraft, um sie aufzustemmen.
Verdutzt blieb er stehen. Er hatte einen Korridor erwartet oder eine Stube oder vielleicht ein ausgeräumtes Warenlager – aber was sich ihm darbot, war so bizarr, das er sich einen Moment in einen Albtraum versetzt fühlte. Das Haus wurde von einer Maschine bewohnt.
Entgeistert starrte Gildo auf zwei riesige Metallzylinder, über denen eine Art hölzerne Wippe schwebte, mit einem Hammer an jedem Ende. Überall hingen Ketten, dazwischen waren Eisengestänge montiert, und durch die Gestänge erblickte er ein gigantisches Eisenrad. Doch die Maschine war zerstört worden. Ihre Zylinder waren eingedellt, einer der Hammer abgebrochen, das Gestänge aus den Verankerungen gerissen – als hätte sie sich mit einer größeren und zornigeren Maschine in einen Kampf eingelassen. Sämtliche Holzteile waren verkohlt und mit fettigem Ruß bedeckt.
Abgestoßen und neugierig zugleich stieg Gildo einige Treppenstufen hinab. Unterhalb der Maschine befand sich ein runder Ofen, der offenbar mit Kohle gespeist worden war, denn auf dem gekachelten Fußboden davor entdeckte er Kohlenstaub und schwarze Kohlebröckchen. Vor dem Ofen lag ein stinkender, frischer gelber Hundehaufen.
Gildo hatte genug. Durch eines der Fenstergitter fielen Sonnenscheinquadrate vor die Ofentür. Draußen mochte es kalt sein, aber alles war besser als dieses Haus.
Er hätte später nicht sagen können, warum er ein zweites Treppchen erklomm, statt ins Freie zurückzukehren. Er hätte nicht sagen können, warum er auf das Eisenrad zustrebte, und auch nicht, warum er den riesigen, umgestürzten, vom Feuer versengten Tisch umrundete.
Er bemerkte zunächst die Blutlache. Dann sah er den Mann. Der Bursche lag am Boden. Seine Glieder waren verrenkt, Hände und Füße gefesselt. Er war geknebelt, und aus dem geknoteten Tuch am Hinterkopf quollen seidig-schwarze Locken. Der Mann war nackt, sein Hintern und die Beine mit Bisswunden
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