Glaesener Helga
merke es nicht«, entschuldigte Adolfo sich ein weiteres Mal.
»Jetzt ist es nicht mehr nötig, wach zu bleiben«, sagte Rossi. »Geh zu Francesca. Sie hatte auch eine lange Nacht.«
»Ich habe die ganze Zeit aufgepasst, aber als es drauf ankommt …«
»Und das, was du hier gesehen hast, bleibt unter uns.« »Natürlich, Giudice. Ich weiß, wann ein anständiger Mensch den Mund hält. Signorina …« Er ging, und es wurde still im Haus.
Cecilia hörte auf zu schluchzen. Sie begann, die Kissen auf dem Bett zu ordnen, stellte die Kerze in die Mitte des Spitzendeckchens auf der Kommode, trug die Poschen in die kleine Kleiderkammer und packte sie in die mit Rosen bemalte Schachtel, die sie extra dafür angeschafft hatte.
»Hochgezogen«, sagte Rossi.
»Was?«
»Der Pistolenlauf. Wenn du abdrückst, musst du darauf achten, dass du den Pistolenlauf nicht hochziehst.«
»Jaja«, sagte sie.
»Du hast mich beinahe umgebracht.«
»Jaja.«
»Puh.« Er ließ sich neben dem Fenster auf den Boden gleiten, immer bemüht, den Rücken zu schonen und den Hals nicht zu bewegen. Eine ramponierte Gestalt, die in ein Bett gehörte. In sein eigenes natürlich … Eifersucht? Der Arlecchino hatte keine Ahnung von Herzensdingen, was Cecilia nicht wunderte, da er ja selbst keines besaß. Er hatte Rossi und ihre eigenen Gefühle völlig falsch eingeschätzt.
»Die Strümpfe!«
»Ich weiß«, sagte Cecilia. »Ich hatte sie auch vergessen.«
»Sie sind mir eingefallen, als ich mir die eigenen ausziehen wollte. Ich hätte mich ohrfeigen können.«
Cecilia schaute zur Tür und dachte an den Augenblick, als sie das Licht gesehen und fest damit gerechnet hatte, Vincenzo würde über sie herfallen. Vincenzo … die Hunde … Wauwau … Und dann war es Augusto gewesen, der sie mit seinem ungeheuerlichen … nackten …
»Nein, nein«, murmelte Rossi. »Lass das. Nicht noch mehr Heulerei. Komm.« Er klopfte auf den Platz an seiner Seite, als säße er auf einem Sofa im Salon, und sie ließ sich neben ihm nieder. Behutsam legte er den Arm um ihre Schulter und zog sie an sich, und es tat gut, seine Schulter zu fühlen. Eine Weile schnaufte sie in das Schnupftuch, das er ihr reichte. Dann grübelte sie darüber, warum ein Mann wie Rossi wohl unfehlbar in jeder Situation über etwas zum Naseschnäuzen verfügte. Da teilte er mit Großmutter Bianca eine Besessenheit. Schließlich sprach sie aus, was ihr auf dem Herzen lag: »Du wirst Francesca und Bruno nicht verraten.«
»Nein.«
»Gut.«
Er schüttelte den Kopf und hatte recht damit. Gar nichts war gut. Das Gesetz war seine linke und seine rechte Hand oder wie er das erklärt hatte – und nun band er sich selbst die Hände. Was half’s? Er war zu einem Schachspiel gegen das Leben angetreten und hatte sich in eine Position gebracht, in der ihn jeder mögliche Zug ins Schachmatt führte. Da konnte man nichts machen.
»Inghiramo wollte mir eine Villa in Neapel schenken und mich zu seiner Mätresse machen«, sagte sie.
»Idiot«, meinte Rossi beinahe mitleidig, und sie war ihm dankbar, weil er sich nicht vorstellen konnte, dass solch ein Angebot sie hätte locken können.
»Aber es ist trotzdem schrecklich, was mit ihm geschehen ist. Das hat er nicht verdient.«
»Niemand verdient so etwas.«
Genau, richtig. Sie schlang die Arme um ihre Knie, ohne den Kopf von seiner Schulter zu nehmen. »Skid!«
»Was?«
»Es pfeift in meinem Ohr.«
»Das war der Schuss. So was passiert. Cecilia …«
»Bitte?«
»Dreh dich mal ein bisschen. Ich will dich ansehen, aber ich kann nicht, weil diese verfluchte Beule meinen Hals steif macht.«
Da es ihm so wichtig war, kauerte sie sich auf die Seite. Es war inzwischen so hell im Zimmer, dass sie jede Feinheit in seinen Gesichtszügen erkennen konnte. Die Bitterkeit in seinen Mundwinkeln über seine Unzulänglichkeit, die es ihm unmöglich machte, dem geliebten Gesetz bis ins letzte Häkchen zu dienen. Die Trauer über all das Unglück, das er nicht hatte verhindern können …
Dein Kummer hat mit Hochmut zu tun, dachte sie. Ein demütiger Mensch lebt mit seinen Grenzen und findet seinen Frieden. Laut sagte sie: »Du trägst dein Hemd verkehrt herum, Enzo Rossi. Und du musst dir das Gesicht waschen.«
Er seufzte. »Damit wären wir auch schon bei der Sache. Und damit meine ich: bei dir. Du hast deinen Tintenkleckser zum … wie hieß das? Du hast ihn jedenfalls dorthin begleitet, und Francescas Haufen hat es mitbekommen, und inzwischen wird die ganze Stadt es wissen. Cecilia
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