Glanz
Wohnung.
Paul empfing uns mit ernster Miene. »Gibt’s was Neues?«, fragte er.
»Nein. Du hast auch nichts von Maria gehört, nehme ich an?«, fragte Emily.
»Leider nicht. Du weißt doch, was für einen Dickkopf sie haben kann.« Er wandte sich an mich. »Eigentlich ist sie ein gutes Mädchen. Ich bin sicher, sie will nur das Beste für Eric.«
Ich nickte stumm.
Emily bot George an, die Nacht bei ihnen zu verbringen, und er nahm dankend an. Da Paul und Emily nur über ein Gästebett verfügten, war klar, dass ich in meine Wohnung zurückkehren musste, obwohl ich mich bei dem Gedanken nicht wohl fühlte.
»Wenn du Lust hast, komm doch morgen um acht Uhr zum Frühstück zu uns«, schlug Emily vor. »Dann gehen wir gemeinsam noch mal in die Klinik und sprechen mit Dr. Kaufman.«
Ich stimmte zu und nahm mir ein Taxi nach Hause.
Es schien mir eine Ewigkeit her zu sein, dass ich das letzte Mal hier gewesen war. Die Wohnung roch irgendwie fremdartig und strahlte eine kalte, ungemütliche Atmosphäre aus. Ich ging ohne Umschweife ins Bett.
Das Telefon weckte mich. Ich schrak hoch und starrte auf die Uhr: 8.30 Uhr. Ich hatte vergessen, den Wecker zu stellen. Schlaftrunken stolperte ich zum Apparat und nahm ab. »Entschuldige, Emily, ich …«
»Guten Morgen, Mrs. Demmet. Hier ist Dr. Ignacius.«
Ich erstarrte. Mein Mund war plötzlich staubtrocken.
|307| »Mrs. Demmet? Sind Sie noch dran?«
Es kostete mich all meine Kraft zu antworten. »Ja.«
»Maria Morrison war so vernünftig, Ihren Sohn zu uns in die Klinik zu bringen«, erklärte der Arzt. »Es geht ihm den Umständen entsprechend gut, obwohl ich sagen muss, dass es knapp war – als er bei uns eingeliefert wurde, war er ziemlich entkräftet. Ich möchte Sie einladen, zu uns zu kommen und ihn zu besuchen. Wenn Sie möchten, können Sie eine Weile bei Ihrem Sohn in der Klinik wohnen. Ihre, äh, Freundin, Mrs. Morrison, können Sie natürlich gern ebenfalls mitbringen.«
Die Stimme des Arztes klang freundlich und vernünftig. Doch wenn ich mir die Person auf der anderen Seite der Leitung vorstellte, dann dachte ich nicht an die hagere Gestalt, die ich im Krankenhaus kennengelernt hatte, sondern an den brennenden Mann auf seinem Thron aus schwarzem Marmor.
»Mrs. Demmet? Was halten Sie von dem Vorschlag?«
»Ich … ja, okay.«
»Schön. Haben Sie was zu schreiben?« Er diktierte mir die Adresse. »Ich erwarte Sie beide dann im Laufe des Tages. Auf Wiederhören, Mrs. Demmet.«
Ohne ein weiteres Wort legte ich auf.
|308| 33.
Ich fuhr direkt zu Emily. Der Frühstückstisch war immer noch gedeckt und unberührt. Offensichtlich hatten meine Freunde auf mich gewartet. Ich entschuldigte mich für die Verspätung. Emily meinte, sie habe mich nach all den Strapazen nicht wecken wollen und deshalb nicht angerufen. Ich erzählte ihr von Dr. Ignacius’ Einladung.
»Also, ich finde, das klingt doch sehr vernünftig«, sagte George. »Dass der Mann sich sofort bei dir meldet, zeigt doch, dass er helfen will, oder? Vielleicht hat Maria am Ende ja doch das Richtige getan, und alles wird gut.«
Ich wünschte mir, seine Zuversicht teilen zu können. »Ehrlich gesagt sind es genau diese Offenheit und Freundlichkeit, die mir verdächtig vorkommen«, sagte ich. Dann erzählte ich von Ricarda Hellers Verschwörungstheorie.
»Ein geheimes Militärexperiment an Jugendlichen – also wirklich!«, kommentierte George. »Findest du nicht, dass das ein bisschen abenteuerlich klingt?«
»Ja, schon. Aber was ist, wenn es stimmt? Dann will uns dieser Dr. Ignacius vielleicht in eine Falle locken. Und uns als Zeugen beseitigen.«
»Und bis dahin lassen sie euch unbehelligt herumlaufen, genau wie diese Schriftstellerin? Wenn da wirklich eine Verschwörung dahinterstecken würde, hätten die sie doch längst außer Gefecht gesetzt!«
»Nicht unbedingt«, meinte Paul. »Tote oder verschwundene Menschen erregen eine Menge Aufsehen. Es wäre effektiver, ihre Glaubwürdigkeit zu zerstören. Schau doch nur mal ins Internet: Das ist voll von abenteuerlichen Verschwörungstheorien. |309| Wir sind nie auf dem Mond gelandet, der elfte September war von unserem eigenen Geheimdienst inszeniert, um einen Kriegsvorwand zu liefern, und so weiter. Auf einen Spinner mehr oder weniger kommt es da kaum an. Heutzutage muss man Menschen nicht mehr umbringen, wenn man sie ruhigstellen will. Man muss nur ihre Reputation zerstören. Und wer glaubt schon einer Schriftstellerin, die mit schwarzem
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