Glanz
dass all dies vielleicht auch nur ein Traum war. Dass ich schlief und Eric in Wirklichkeit noch neben mir lag. Doch ein Blick in Emilys mitleidvolles Gesicht belehrte mich eines Besseren.
Sie legte ihren Arm um mich. »Noch ist nicht alles verloren«, sagte sie. »Maria wird Eric in ein Krankenhaus bringen. Die Ärzte werden ihn stabilisieren. Dann können wir wieder den Kontakt zu seiner Seele herstellen und |301| einen erneuten Versuch unternehmen, ihn zum Tor des Lichts zu führen. Wer weiß, vielleicht hat Maria sogar das Richtige getan. Vielleicht braucht Eric tatsächlich medizinische Betreuung, und …«
Ich stieß sie grob zur Seite und sprang auf. Ich begriff, dass Emily mit ihrer Nichte unter einer Decke steckte. Sie hatten Marias Verrat gemeinsam geplant. Der Spaziergang war nur ein Vorwand gewesen, um mich fortzulocken, damit sie mir meinen Sohn stehlen konnten. Gott, wie dumm war ich gewesen!
Ich starrte Emily angstvoll an. Vermutlich hatte Maria bereits die Polizei alarmiert. Ein Krankenwagen war sicher schon unterwegs. Man würde mich in eine psychiatrische Klinik einweisen.
Mir blieb nur die Flucht.
Ich rannte den Waldweg entlang. Ich hatte keine Ahnung, wohin ich lief, und es war mir auch egal. Ich wollte nur weg von dem Ort des Verrats.
Ich hörte Emilys Schritte hinter mir. »Anna, warte! So warte doch! Wo willst du denn hin?«
Ich rannte schneller. Meine Lungen schmerzten. Der Weg verschwamm vor meinen Augen. Ich stolperte über ein Schlagloch und schlug der Länge nach hin. Bevor ich mich wieder aufrappeln konnte, war Emily bei mir. Sie nahm mich in den Arm und half mir auf. »Was ist denn los mit dir?«
Ich brach erneut in Tränen aus, duldete es aber, dass sie mich im Arm hielt und mir beruhigend über den Rücken strich. Schließlich hob ich den Kopf und sah sie an. »Hast du es gewusst?«, fragte ich.
Emily schüttelte den Kopf. »Ich schwöre dir, ich hatte keine Ahnung! Ich wusste, dass Maria nicht richtig findet, was wir tun, aber ich habe immer gedacht, dass sie mir vertraut |302| und mir gehorcht. Anna, bitte glaub mir! Ich bin auf deiner Seite!«
Ich musterte sie einen Moment schweigend. Ihre dunklen Augen erschienen tief und unergründlich. Schließlich nickte ich. Meine Zweifel waren nicht restlos verschwunden. Aber was blieb mir anderes übrig, als ihr zu vertrauen? Ohne Emilys Hilfe hatte ich nicht die geringste Chance, zu Eric vorzudringen. Sie war meine einzige Hoffnung, so schwach diese auch sein mochte.
»Lass uns zurück ins Dorf gehen«, sagte sie. »Ich werde George bitten, uns nach Huntingdon zu fahren. Vielleicht hat Maria Eric in das dortige Krankenhaus gebracht. Wenn nicht, können wir von dort den Zug nach New York nehmen.«
Ich nickte, unfähig zu sprechen.
Sie half mir auf. Ich hatte mir das Knie blutig geschlagen, doch es war nur ein harmloser Kratzer. Während wir den Waldweg entlanggingen, hatte ich die ganze Zeit nur das Bild des griechischen Kriegers vor Augen, der mich erschrocken ansah, als ich mich vor ihm in nichts auflöste. Ich hatte ihm aufgetragen, dort zu bleiben, egal, was geschah. Er würde meinen Befehl befolgen, das wusste ich. Anstatt das Tor des Lichts zu suchen, würde er auf mich warten, bis er vor Entkräftung starb.
Nach einer halben Stunde hörten wir ein Motorengeräusch. Ein Wagen kam auf uns zu. Mein erster Impuls war es, mich im Unterholz zu verstecken, doch Emily ging unerschrocken weiter. Im nächsten Moment bog Georges Pick-up um eine Kurve. Emily winkte, und er hielt an.
»Da seid ihr ja. Maria hat mich angerufen und gesagt, ich soll euch abholen«, sagte George. Als er mein verheultes Gesicht sah, fragte er: »Was ist denn los? Ist was passiert? |303| Maria hat mir nur gesagt, dass sie Eric ins Krankenhaus bringt.«
Während ich noch mit den Worten rang, beantwortete Emily seine Frage. »Maria hat Eric gegen Annas Willen weggebracht.«
George nickte ernst. »Sie war schon immer ein bisschen eigensinnig. Ich sag euch was: Wir fahren jetzt in die Hütte und holen eure Sachen, und dann bringe ich euch zu ihm.«
»Wir wissen ja nicht mal, wo sie mit ihm hingefahren ist«, sagte Emily. »Vielleicht nach Huntingdon, vielleicht auch zurück nach New York.«
»Egal, wo sie ist, ich bringe euch hin«, sagte George.
»Aber … es sind mehr als sechs Stunden Fahrt bis nach New York!«, sagte ich.
Er sah mich mit amüsiertem Blick an. »Lady, glauben Sie, ich war noch nie in der Stadt? Ich werde die Gelegenheit nutzen und ein
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