Glashaus
meine Pflicht getan und bin selbst dabei gescheitert. Und jetzt …
Im Krankenhaus, das ist mein schmutziges kleines Geheimnis, ist mir klar geworden, dass ich auch kapitulieren kann. Ich habe die Wahl. Ich habe Sam. Und ich habe einen Job, den ich so interessant gestalten kann, wie ich selbst es möchte. Ich kann mich hier eine Zeit lang niederlassen und wohlfühlen, selbst wenn die Annehmlichkeiten primitiv sind und einige der Nachbarn mir nicht zusagen. Selbst Diktaturen müssen der großen Mehrheit ihrer Untertanen ein einigermaßen behagliches Alltagsleben bieten. Ich muss nicht ständig weiterkämpfen. Und wenn ich den Kampf eine Weile hintanstelle, wird man mich in Ruhe lassen. Später kann ich ihn ja jederzeit wieder aufnehmen. Niemand wird aufschreien, wenn ich ihn vorübergehend einstelle, außer vielleicht Sam. Und der wird sich mit der Zeit schon an mein neues Ich gewöhnen.
Was theoretisch alles ganz wunderbar ist. Nur hilft mir das auch nicht weiter, wenn ich mich einsam und allein in den Schlaf weine.
16
hangen und bangen
AM NÄCHSTEN TAG, EINEM FREITAG, wache ich spät auf. Als ich mich endlich auf den Weg nach unten mache, ist Sam bereits zur Arbeit gegangen. Da ich mich erschöpft und wegen der Nachwirkungen meiner Infektion und des blöden Kletterversuchs entkräftet fühle, unternehme ich nicht viel. Letztendlich verbringe ich den Großteil des Tages damit, zwischen Schlafzimmer und Küche hin und her zu pendeln, einiges an Lektüre nachzuholen und viele Tassen schwachen Tees zu trinken. Sam kommt auffällig spät nach Hause. Wie er sagt, hat er bereits in dem Steak-Restaurant in der Stadt gegessen (und mindestens ein Glas Wein, wenn nicht sogar drei gekippt). Als ich wissen will, wo er so lange gewesen ist, macht er sofort zu. Und da keiner von uns klein beigeben will, schweigen wir uns den ganzen Abend an.
Am Samstag komme ich so rechtzeitig nach unten, dass ich noch mitbekomme, wie er den Rasenmäher wegbringt. »Du musst die Garage aufräumen«, sagt er zur Begrüßung.
»Warum?«
»Weil ich einige Sachen verstauen muss.«
»Aha. Was für Sachen?«
»Ich gehe aus. Bis später.«
Es ist ihm ernst damit. Zehn Minuten später verschwindet er, nimmt ein Taxi, ohne mir zu verraten, was er vorhat. Und das war nun das intensivste Gespräch, das wir seit zwei Tagen geführt haben...
Für meine Dummheit könnte ich mich selbst in den Hintern treten. Dummheit lautet die Tageslosung, denn auf mich warten auch stupide Tätigkeiten: Ich gehe in die Garage und suche nach Dingen, die ich rauswerfen kann. Die Garage ist ein einziges Schrottlager, ein Friedhof unvollendeter Projekte, aber ich glaube, auf die Schweißausrüstung kann ich jetzt wirklich verzichten. Genauso wie auf die halb fertige Armbrust und den meisten anderen Müll, mit dem ich herumexperimentiert habe, weil ich irrtümlich annahm, ich müsste von diesem Ort flüchten, anstatt vor dem, was meine Person ausmachte . Einiges technische Zubehör fehlt sowieso schon; vermutlich hat Sam mit dem Ausmisten bereits begonnen, um Platz für seine Golfschläger oder was auch immer zu schaffen. Während ich meine Sachen in einer Ecke der Garage aufstaple und eine Persenning darüber ziehe, sage ich mir: Aus den Augen, aus dem Sinn.
Ins Haus zurückgekehrt, bemühe ich mich, ein bisschen fernzusehen, aber das Programm ist albern und langatmig, ganz zu schweigen davon, dass es auch kaum verständlich ist. Über einen gewölbten Bildschirm mit niedriger Auflösung huschen grelle, verschwommene Lichtpunkte; die Bilder bewegen sich wie in Zeitlupe und ermüden mich. Und die Handlung ergibt für mich keinen Sinn, da sie gemeinsame Vorkenntnisse voraussetzt, die ich schlicht nicht besitze. Gerade bin ich so weit, den Fernseher auszuschalten und mich der Langeweile ohne Hintergrundrauschen zu stellen, da klingelt das Telefon.
»Reeve?«
»Hallo? Wer? Janis! Wie geht’s dir denn?« Wie eine Ertrinkende klammere ich mich an den Hörer.
»Okay, Reeve, hör zu: Hast du heute schon was vor?«
»Nein, nein, ich glaube nicht - wieso?«
»Heute Nachmittag treffe ich mich mit ein paar Freundinnen in der Stadt. Wir wollen ein neues Café am Hafen ausprobieren, der gerade erst im Szenario aufgetaucht ist. Ich dachte, du hättest vielleicht Lust mitzukommen? Das heißt, falls es dir gut genug geht.«
»Ich soll … mich noch ein paar Tage schonen, hat Dr. Hanta gesagt.« Sie kann ruhig darüber nachgrübeln, was das zu bedeuten hat.
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