Glashaus
Dinge getan.«
»Na und?«, erwidere ich achselzuckend. »Das habe ich auch. Da draußen wollten mich Menschen töten, Sam. Ich dachte, es hätte was mit einem meiner früheren Aufträge zu tun, den ich versehentlich aus meinem Gedächtnis gelöscht hatte, doch inzwischen bin ich mir nicht mehr sicher. Vielleicht waren sie nur deswegen hinter mir her, weil sie, nun ja, eine der Personen kaschen wollten, die ich in der Vergangenheit dargestellt habe. Eine Person, die im Krieg gekämpft hat. Einen Frontkämpfer.«
In Gedanken versunken schaukelt er vor und zurück. »Wir Kriegsverbrecher sind hier drinnen völlig unter uns«, sagt er.
Äußerst interessant, wenn man plötzlich merkt, dass der Ausdruck das Blut erstarrt mir in den Adern tatsächlich eine körperliche Empfindung wiedergibt. Weniger angenehm ist es, wenn das geschieht, während man neben jemandem sitzt, den man uneingeschränkt liebt - so sehr liebt, dass man derzeit, sobald man sich mit ihm im selben Zimmer aufhält, bei nächster Gelegenheit die Unterwäsche wechseln muss -, und ausgerechnet dieser Geliebte die Empfindung im eigenen Kopf auslöst. Noch schlimmer, wenn einem klar wird, dass das eben Gesagte einen selbst mit einschließt. »Ja, wir Monster sind hier drinnen ganz unter uns«, versuche ich zu witzeln. »Oder Leute mit Gedächtnisverlust, die von den Gespenstern ihrer Vergangenheit gejagt werden.«
»Ist dir schon mal der Gedanke gekommen, dass das YFH-Gemeinwesen einem bestimmten Menschentyp möglicherweise sehr entgegenkommt?«, fragt Sam bedächtig.
Langsam werde ich ungeduldig. »Hast du eigentlich vor, mich auf dieses Bett zu werfen und mit mir zu schlafen, wenn du mit deinen endlosen Belehrungen endlich fertig bist?«
Sein Gesicht nimmt eine seltsame Farbe an. »Wenn wir beide es dann noch wollen.«
Wenn wir beide es dann noch wollen. Nun ja, mir bleibt wohl nichts anderes übrig, als das Beste aus dieser Situation zu machen. »Ich bin ganz Ohr«, bemerke ich.
Er schüttelt sich. »Sag doch nicht so was !«
»Na ja, es stimmt aber schon irgendwie.« (Wenn auch nur im übertragenen Sinne.)
»Wo warst du bei Kriegsausbruch?«
Hoppla! Mit dieser Frage habe ich nicht gerechnet. Unter normalen Umständen wäre es streng verboten, solche Dinge zu verraten, denn damit würde man gegen die bei einem Einsatz geltenden Sicherheitsbestimmungen verstoßen. Aufgrund einer solchen Auskunft könnte der Gegner nämlich genau feststellen, wer man ist, und dadurch alle möglichen nützlichen Dinge über einen herausfinden, jedenfalls genügend, um den Einsatz zu gefährden. Schließlich ist praktisch alles, was man je öffentlich getan hat, irgendwo in Datenbanken gespeichert. Allerdings befinden wir uns im Inneren eines MAE, und wenn ich mich nicht irre, gibt es hier nur einen Kanal, der Daten nach innen oder außen überträgt. Außerdem ist Sam an diesem Komplott nicht beteiligt, und ich schätze das Risiko, dass wir im Moment belauscht werden, als relativ gering ein. Und als »normal« kann man diese Umstände gewiss nicht bezeichnen.
»Ich war an Bord eines MAE und hatte dort eine Unterredung mit der Besatzung. Nach dem Ausfall des Netzes waren wir mehr als eine Gigasekunde vom Rest der Welt abgeschnitten.« Sam räuspert sich nachdenklich. »Jetzt bist du dran«, ermuntere ich ihn, weil ich das Thema wechseln möchte.
»Ich war ein Auditor«, erklärt Sam und verstummt gleich wieder. »Deshalb haben sie mich eingezogen.«
»Sie?«
»Die Nation der Solipsisten. Genauer gesagt: Drittes Bataillon zur Bekämpfung Unverzeihlicher Gedankenverbrechen. In dem abgetrennten Segment, in dem ich gestrandet war, haben sie knapp hundert Kilosekunden nach dem Ausbruch von Curious Yellow eine Razzia durchgeführt, um noch nicht erfasste Erinnerungsstätten sicherzustellen. Mich hatte man bereits der Zensur unterzogen, und ich war infiziert, also haben sie mich einfach geschnappt und in ihre im Netz verteilten Truppen eingereiht, die jede Möglichkeit bewusster Erkenntnis leugnen und den Menschen kein eigenes Bewusstsein zugestehen. Die nächsten zwei Megasekunden verbrachte ich damit, die virtuellen Erinnerungsstätten des kollektiven Gedächtnisses unwiderruflich zu zerhacken. Und danach haben sie’s geschafft, mich tatsächlich so zu bearbeiten, dass sie mich damit beauftragen konnten, die Spuren der Archive zu löschen.«
Igitt. Und ich dachte, schon das, was ich bei den Linebarger Cats getan habe, sei widerlich gewesen?! Offenbar läuft mir
Weitere Kostenlose Bücher