Glashaus
des Hochgefühls. Deren Intensität ist mehr, als ich ertragen kann. Denn jetzt erinnere ich mich auch an den Rest meines früheren Traums, in dem es um Schwerter, Panzer und das Massaker an Bord eines teilweise befreiten Habitatzylinders ging (wobei die Entleibung der Bewohner später rückgängig gemacht wurde). Mir fällt wieder ein, wie unser A-Tor am Ende der Befreiungsaktion erst Funktionsstörungen hatte und schließlich gänzlich den Geist aufgab, während wir ihm den letzten abgetrennten Kopf in den Rachen warfen. Und dass Loral, angewidert und fertig mit der Welt, sich zu mir umdrehte und was für’ne Scheiße sagte. Ich erinnere mich auch wieder daran, dass ich fortging, um einen Termin für den Eingriff in mein Langzeitgedächtnis zu vereinbaren. Denn mir war klar, dass die Erinnerung an all das mich sonst noch jahrelang aus dem Schlaf schrecken und ich jedes Mal laut schreiend erwachen würde …
… Plötzlich bin ich hellwach und schaffe es gerade noch zur Toilette, ehe mein Magen sich krampfartig zusammenzieht, sein Inhalt in meine Kehle steigt und hinausdrängt.
Ich kann nicht fassen, dass ich all diese Dinge getan habe, kann nicht glauben, dass ich solcher Verbrechen fähig sein soll. Doch ich erinnere mich an das Massaker, als wäre es erst gestern gewesen. Und wenn das keine echten Erinnerungen sind, wie steht’s dann mit dem Rest von mir?
Nicht ganz zufällig nehme ich am nächsten Tag zum ersten Mal die Schultertasche mit. Die rechtwinklige Tasche, die ursprünglich nur aus grünem Vinyl bestand, ist inzwischen mit schwarzem Nylonfutter versehen, das ich selbst zusammengenäht habe (wobei ich mir so oft in die Fingerspitzen stach und das Blut wegsaugen musste, dass ich dabei ständig fluchte). Das Futter war nötig, um das Netz aus glänzenden Kupfermaschen zu verbergen, das im Innern der Tasche klebt. Der Beutel wirkt wie eine ganz normale leere Einkaufstasche, bis ich das Innenfutter nach außen stülpe. Dann sieht sie wie eine volle Einkaufstasche aus, deren Inhalt ein schwarzes Tuch verbirgt. Im Moment enthält sie eine Packung mit außerordentlich starkem Espressopulver, einen kegelförmigen Kaffeefilter und mehrere kleine Gegenstände, die für sich genommen harmlos aussehen, aber zusammen überaus verdächtig sind, wenn man weiß, wonach man sucht. Gut, dass die Tasche so unauffällig ist, denn wenn meine Erinnerungen nicht einfach Hirngespinste sind, ist das, was ich heute von der Arbeit nach Hause mitnehmen und in der Tasche befördern will, längst nicht so harmlos wie Kaffee.
Wie üblich komme ich früh zur Arbeit und finde Janis, deren Gesicht blass und spitz aussieht, im Aufenthaltsraum. »Die übliche Übelkeit am Morgen?«, frage ich. Sie nickt. »Du hast mein Mitgefühl. Hör mal, warum bleibst du nicht einfach sitzen, während ich die zurückgebrachten Bücher einsortiere? Leg die Beine hoch. Ich rufe dich, wenn irgendwas auftaucht, mit dem ich nicht klarkomme.«
»Danke. Genau das werde ich tun.« Sie lehnt sich gegen die Wand. »Ich wäre gar nicht hier, würde heute nicht Fiore kommen …«
»Überlass ihn ruhig mir«, sage ich und versuche, mir meine Verblüffung nicht anmerken zu lassen. So bald habe ich ihn nicht erwartet. Aber wenigstens habe ich jetzt die Tasche dabei, also …
»Meinst du wirklich?«, fragt Janis.
»Ja.« Ich lächle beruhigend. »Mach dir keine Sorgen um mich, ich lasse ihn einfach hinein und danach allein, damit er seine Dinge erledigen kann.«
»Okay«, erwidert sie dankbar, während ich hinausgehe und mit der Arbeit anfange.
Als Erstes staple ich die am Vortag zurückgegebenen Bücher auf das Wägelchen, das ich durch die Regalreihen schiebe, und sortiere sie so schnell ich kann wieder ein. Das dauert nur wenige Minuten, denn den meisten Bewohnern hier drinnen ist nicht klar, dass das Lesen eine Entspannungsmöglichkeit darstellt. Gerade mal eine Handvoll leihen sich regelmäßig Bücher aus. Allerdings verzichte ich auf das Abstauben und Saubermachen, das heute eigentlich fällig wäre. Stattdessen hole ich meine Tasche hinter dem Empfangstresen hervor, verstaue sie auf dem Bodenbrett des Wägelchens und mache mich auf den Weg zu den Bücherregalen in der Abteilung Nachschlagewerke. Direkt daneben liegt der Raum, wo die kirchlichen Dokumente aufbewahrt werden.
In der Tasche landet ein Lexikon sexueller Tabus. Es steht nur deshalb bei den Nachschlagewerken, weil irgendein Verrückter die Sitten der dunklen Epoche so gedeutet hat, dass
Weitere Kostenlose Bücher