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Glashaus

Titel: Glashaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Stross
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derartige Werke in öffentlichen Büchereien nicht ausgeliehen werden dürfen. Für den Fall, dass man mich erwischt, ist das mein Tarnmanöver: Ich habe etwas Obszönes, aber offensichtlich Belangloses mitgehen lassen.
    Danach stelle ich das Wägelchen hier ab. Meine Tasche habe ich auf dem Bodenbrett verstaut, wo sie nicht unmittelbar ins Auge fällt. Als ich zum vorderen Tresen zurückkehre, habe ich schweißnasse Hände. Fiore wird gleich das Archiv aufsuchen und kommt damit meinen Plänen zuvor. Bislang hat sich immer nur Janis um ihn gekümmert, aber da sie sich nicht wohlfühlt, leite ich jetzt den Laden. Und es hat keinen Zweck, das Unvermeidliche aufzuschieben. Meine Ausflüchte habe ich mir sowieso schon alle zurechtgelegt. In den letzten Nächten habe ich kaum schlafen können, weil ich sie im Geiste ständig durchgegangen bin.
    Die Hälfte des Vormittags ist rum, als ein schwarzer Wagen vorfährt und vor der Treppe zur Bücherei hält. Ich lege das Buch, in dem ich gelesen habe, weg und stehe auf, um hinter dem Empfangstresen zu warten. Ein Zombie in Uniform steigt vorne aus, öffnet die hintere Wagentür und bleibt an der Seite stehen, während ein dicker Mann herausklettert. Sein dunkles, öliges Haar glänzt im Tageslicht. Der weiße Priesterkragen trennt das Gesicht so ab, dass es irgendwie geisterhaft wirkt - als wäre es nicht von derselben Welt wie der übrige Körper. Er steigt die Treppe zum Eingang empor, stößt die Tür auf und kommt zum Empfang herüber. »Abteilung spezielle Nachschlagewerke«, sagt er kurz angebunden, dann aber blickt er mir doch noch ins Gesicht. »Ah, Reeve, ich hab Sie hier noch nie gesehen.«
    Ich bringe ein verkrampftes Lächeln zustande. »Ich werde derzeit zur Bibliothekarin ausgebildet. Janis ist heute Morgen unpässlich, deshalb kümmere ich mich um alles. Nur, solange sie nicht da ist.«
    »Unpässlich?« Wie eine alte Eule starrt er mich an, und ich erwidere den Blick. Fiore hat sich einen Körper ausgesucht, der imposant wirkt, aber schon an Gebrechlichkeit denken lässt; er befindet sich in der Phase, die unsere Altvorderen als das »mittlere Alter« bezeichneten. Außerdem hat er so viel Übergewicht, dass man schon von Fettleibigkeit reden kann. Er wirkt breit und gedrungen und ist kaum größer als ich. Seine Nasenporen sind deutlich sichtbar, und sein Kinn schwabbelt, sobald er redet. Im Moment sind seine Nasenflügel gebläht. Während er mich inspiziert, schnüffelt er argwöhnisch in der Luft herum und zieht die buschigen Augenbrauen zusammen. Er riecht derart stark nach etwas Vermodertem, Organischem, als hätte er zu lange auf einem Komposthaufen gesessen.
    »Ja, morgens ist ihr immer übel«, erkläre ich mit Unschuldsmiene und hoffe nur, dass er nicht wissen will, wo sie ist.
    »Übelkeit am Morgen - oh, jetzt versteh ich!« Sein Stirnrunzeln ist wie weggewischt. »Ah, welche Prüfungen sind uns doch auferlegt!« Seine Stimme trieft vor schleimigem Mitgefühl. »Sicher ist das eine schwierige Situation für Sie beide. Bringen Sie mich einfach zu dem Raum mit den speziellen Nachschlagewerken; danach bin ich Ihnen nicht länger im Wege, mein Kind.«
    »Selbstverständlich.« Ich mache mich auf den Weg zum Eingang neben dem Empfang. »Wenn Sie mir bitte folgen würden?« Die alte Kröte weiß genau, wo wir hingehen, ist aber eifrig darauf bedacht, den Schein zu wahren. Also geleite ich ihn zu der verriegelten Tür in der Abteilung Nachschlagewerke, wo er einen kleinen Schlüsselbund hervorholt, irgendwas murmelt und aufschließt. »Möchten Sie eine Tasse Tee oder Kaffee?«, frage ich zögernd.
    Daraufhin bleibt er stehen und glotzt mich wieder wie ein toter Fisch an. »Verstößt das nicht gegen die Büchereiordnung?«
    »Normalerweise schon, aber Sie werden sich ja nicht direkt in der Bücherei aufhalten«, plappere ich drauflos, »sondern im Archiv. Außerdem sind Sie eine verantwortungsbewusste Persönlichkeit, deshalb dachte ich, ich biete Ihnen …«
    Er verliert das Interesse an mir. »Kaffee wäre schön. Mit Milch, ohne Zucker.« Als er im Archiv verschwindet, lässt er den Schlüsselbund im Schloss stecken.
    Jetzt oder nie. Mit klopfendem Herzen eile ich zum Aufenthaltsraum. Als ich die Tür aufmache, döst Janis gerade. Erschrocken fährt sie hoch. Sie sieht blass aus. »Reeve …«
    »Alles in Ordnung«, beruhige ich sie, während ich zum Kessel hinübergehe und ihn mit Wasser fülle. »Fiore ist da, ich hab ihn hereingelassen. Hör mal,

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