Glashaus
warum gehst du nicht einfach nach Hause? Wenn du dich krank fühlst, solltest du eigentlich nicht hier sein, stimmt’s?«
»Ich hab über das Grübeln nachgegrübelt.« Janis schüttelt den Kopf, während ich nach dem Kaffeepulver und den Filtertüten suche und den größten Becher, den ich auftreiben kann, unter den Durchlauf der Kaffeemaschine auf die Wärmeplatte stelle. Mit wildem Eifer schaufle ich Kaffee in die Filtertüte und höre damit erst auf, als mir einfällt, dass ungenießbarer, da zu starker Kaffee mein Vorhaben genauso vermasseln würde, als hätte Fiore sich gar nicht erst zu einer Tasse überreden lassen. »Du solltest nicht zu viel nachdenken, Reeve. Das tut einem nicht gut.«
»Ach nein?«, frage ich geistesabwesend, während ich die Folie von einem kleinen Schokoladenriegel löse, den ich im Drugstore gekauft habe, die Hälfte davon zerbrösele und unter das Kaffeepulver mische. Der Wasserkocher brodelt bereits. Ich presse die Folie zu einer festen Kugel zusammen und werfe sie in den Abfalleimer.
»Sofern man darüber nachdenkt, von hier zu verschwinden«, erklärt Janis.
»Wie schon gesagt, ich kann dir ein Taxi rufen …«
»Nein, ich meine ganz von hier abzuhauen.« Als ich mich zu Janis umdrehe, sieht sie mich wie ein gefangenes Tier an. Es ist einer jener Momente existenzieller Nacktheit, in denen der Lügenkokon, in den wir uns einzuspinnen pflegen, um die Risse in der Wirklichkeit nicht sehen zu müssen, sich zu Schleim auflöst und wir mit etwas wirklich Hässlichem konfrontiert sind. Janis trägt denselben Bazillus in sich wie ich, nur hat er bei ihr schlimmere Auswirkungen. »Ich halt’s einfach nicht mehr aus! Die werden mich ins Krankenhaus verfrachten und dazu zwingen, einen Schädel aus meiner Scheide herauszupressen. Und dann wird denen ein kleines Missgeschick unterlaufen, an dem ich verblute. Also werden die mich Hanta überstellen, damit sie das mit ihrem zahmen Zensurwurm wieder in Ordnung bringt. Und wenn ich aus dem Krankenhaus komme, werde ich so blöde lächeln wie Hänschen und Gretchen oder sonst wer, an dem Hanta herumgepfuscht hat … Von mir wird nichts übrig bleiben. Es wird nur noch dieses Ding da sein, das sich für mich hält . Und …«
Ich greife nach ihr. »Halt die Klappe!«, zische ich ihr ins Ohr. »Das wird nicht passieren!« Sie schluchzt heftig; ein schmerzgequältes Aufbegehren tief in ihrem Innern will sich Luft machen. Aber wenn sie’s rauslässt, bin ich geliefert, denn dann wird Fiore uns hören. »Ich habe einen Plan«, sage ich.
»Du hast was ?«
Das Wasser siedet. Sanft schiebe ich ihre klammernden Hände weg und lange zum Wasserkocher hinüber, um ihn auszuschalten. »Hör zu. Fahr nach Hause. Sofort, auf der Stelle. Überlass Fiore mir. Und hör auf, dich panisch zu verhalten! Je mehr wir uns in den Gedanken hineinsteigern, isoliert zu sein, desto stärker isolieren wir uns von den anderen. Ich werde nicht zulassen, dass sie an deinem Kopf herumpfuschen.« Ich lächle ihr beruhigend zu. »Vertrau mir.«
»Du.« Janis schnaubt laut, lässt mich los und holt sich ein Papiertuch aus der Schachtel, die auf dem Tisch steht. »Du hast … Nein, sag’s mir nicht.« Nachdem sie sich die Nase geputzt und tief Luft geholt hat, mustert sie mich mit einem langen, harten, abschätzenden Blick. »Ich hätte es wissen müssen. Du lässt dir nichts vormachen, stimmt’s?«
»Nein, wenn ich’s irgendwie vermeiden kann.« Ich greife nach dem Kessel und gieße das kochende Wasser vorsichtig in den Kaffeefilter. Es wird sich mit dem Kaffeepulver vermischen, dabei die Xanthine-Alkaloide herausziehen, den ins Pulver gebröselten halben Riegel des Abführmittels auflösen und danach die Glykoside, die die Verdauung ankurbeln, und das stark harntreibende Koffein in den Becher mit dampfendem Kaffee befördern. Mit ein bisschen Glück werde ich erleben, wie Fiore eine halbe Stunde, nachdem er das Gebräu getrunken hat, den heftigen Drang verspürt, mindestens zehn ruhige Minuten auf dem Klo zu verbringen.
»Versuch dich einfach zu entspannen. Wenn alles so läuft wie vorgesehen, kann ich dich in ein paar Tagen bestimmt einweihen.«
»Richtig, du hast ja einen Plan.« Sie schnäuzt sich nochmals. »Und willst, dass ich heimgehe.« Es ist eine Frage.
»Ja. Sofort und ohne dass Fiore dich hier sieht. Ich hab ihm gesagt, du seist zu Hause. Krank.«
»Okay.« Sie ringt sich ein schwaches Lächeln ab.
Ich fülle den Kaffeebecher mit Milch auf. »Und jetzt
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