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Glashaus

Titel: Glashaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Stross
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gewisse Schlüsselbereiche verloren gingen. Das betrifft vor allem wesentliche Dienstleistungen der Republik Is, etwa die Sicherung eines gemeinsamen Zeitrahmens und die Möglichkeit, Identitäten zu überprüfen.
    Auch nachdem der Zensurwurm Curious Yellow unter Kontrolle war, hielt die komplizierte Situation an, denn es entstanden Diktaturen von Quislingen. Deren Führer nutzten die Software von Curious Yellow dazu, ihre eigenen schädlichen Ideologien und Machtstrukturen zu verbreiten. In dem Chaos der Folgezeit gingen weitere Informationen verloren.
    Zu den Dingen, über die wir nur sehr wenig wissen, zählen Hintergrund und Geschichte bestimmter Armeeangehöriger, die von Curious Yellow für Schläferzellen rekrutiert wurden. Diese Zellen entstanden, nachdem der Wurm erkannt hatte, dass er von Dissidenten mittels sauberer, selbst hergestellter Assembler-Tore angegriffen wurde. Genauso wenig wissen wir über die gefährlichen Opportunisten, die die Beförderungsfähigkeit von Curious Yellow dazu nutzten, ihre eigenen winzigen Imperien zu schaffen. Auf Yourdon, Fiore und Hanta wurden wir im Zusammenhang mit den Organisationen zur psychologischen Kriegsführung aufmerksam, zu denen sich mindestens achtzehn kleinere Diktaturen über Wahrnehmung und Bewusstsein zusammengeschlossen haben. Yourdon, Fiore und Hanta sind äußerst gefährliche Leute, doch gegenwärtig kommen wir nicht an sie heran, weil sie, offen gesagt, dem Militär der Unsichtbaren Republik auf irgendeine Weise zu Diensten sind.
    Über die Zellen von Schläfern wissen wir nur Folgendes: In den letzten Megasekunden des Krieges, ehe es der Allianz gelang, die letzten verbliebenen Netzwerke von Curious Yellow zu zerschlagen und sie von Viren zu säubern, tauchten in den Quisling-Diktaturen einige der höheren Befehlsränge in den Untergrund ab. Seit Kriegsende sind mittlerweile fast zwei Gigasekunden vergangen, und die meisten Menschen tun die Vorstellung, das Gespenst von Curious Yellow könne erneut umgehen, als Hirngespinst ab. Doch ich halte nichts davon, Bedrohungen zu ignorieren, nur weil sie weit hergeholt klingen. Falls Curious Yellow tatsächlich Zellen von Schläfern hervorgebracht hat, sekundäre Infektionsherde, dazu bestimmt, erst lange nach Beseitigung der ursprünglichen Epidemie eine neue in Gang zu setzen, dann wäre es auf verheerende Weise kurzsichtig von uns allen, diese Herde nicht aufzuspüren und auszuräuchern.
    Insbesondere beunruhigen mich gewisse Aspekte an der Versuchsanordnung in dem von Yourdon, Fiore und Hanta konzipierten Gemeinwesen. Das, was darüber veröffentlicht wurde, lässt bei mir Alarmglocken schrillen, denn es klingt ganz so, als liefe das »Experiment« auf ein Umschwenken in die oben skizzierte Richtung hinaus.
    Dass du dich vor deiner Infiltration ins YFH-Gemeinwesen einem Eingriff in dein Langzeitgedächtnis unterziehst, wünsche ich mir vor allem aus folgendem Grund: Ich vermute, dass die Versuchspersonen, wenn sie bei ihrer Ankunft mit neuen Körpern ausgestattet werden, ein A-Tor durchlaufen, das mit Keimen einer virulenten Version von Curious Yellow infiziert ist. Deshalb ist die präventive Löschung von Erinnerungen der einzig sichere Weg zu verhindern, dass ein auf diese Weise verseuchtes Tor dich als Bedrohung erkennt und seinen Besitzern rät, diese Bedrohung zu beseitigen.

    Ich sehe mir selbst dabei zu, wie ich diesen Brief an mich schreibe. Ich kann ihn so deutlich lesen, als wäre er mir in den Körper geritzt. Doch ich kann keine Schriftzeichen auf dem Papier erkennen, denn mein früheres Ich hat vergessen, die Feder in die Tinte zu tunken. Längst ist der Mann dazu übergegangen, unsichtbare Zeichen in die grobfaserigen Blätter zu kratzen. Offenbar stehe ich hinter seiner Schulter, obwohl sein Kopf sich nicht in meinem Blickfeld befindet, und versuche ihm zuzurufen: Nein, nein! So macht man das nicht! Aber da es ein Traum ist, dringt kein Laut aus meinem Mund, und als ich versuche, nach der Feder zu greifen, fährt meine Hand mitten durch sein Handgelenk. Und er hört nicht auf, mein bloß liegendes Gehirn mit seiner Tinte aus Blut und Neurotransmittern zu beschreiben.
    Ich gerate in Panik, denn während ich mit ihm in dieser Zelle stecke, überschwemmen mich Erinnerungen. Es sind Erinnerungen, für deren Unterdrückung der listige Mann bislang gesorgt hat, damit die Zensurmechanismen von Curious Yellow nicht aktiviert werden. Ich schwelge in ständig wechselnden Bildern des Entsetzens und

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