Glasseelen - Schattengrenzen #1 (German Edition)
besteht aus zwei Gläsern, um die eine Art Bannformel liegt«, erläuterte Chris. »Das dritte in Form eines Auges ist das eigentlich relevante Okular. Es ist das Seelengefäß. Darin wird dieser Zauber erst wirklich aktiv.«
»Es sind die Augen, nicht wahr?« Camilla hob den Blick zu Nathanael. »Das Perspektiv ist völlig nutzlos ohne die Augen.«
Er nickte.
In dem Moment lichtete sich der letzte Schleier. »Es geht gar nicht um die Augen der Maschine, sondern um die der Person, die das Leben in die Uhrwerkmenschen einbaut und aktiviert. Er gibt den letzten Funken, richtiger den Wunsch, dass die Seele in der Maschine eingebunden wird. Das ist das Geheimnis einer lebenden Seele in einem Metallkörper. Nur durch meinen Wunsch, eine Puppe zum Leben zu erwecken, würde es nicht funktionieren. Es ist die Kombination und der Fokus, der durch diese eigenartigen Zauberlinsen entsteht.«
»Aber wie kann das gehen?«, fragte Chris.
Ein Puzzleteil fehlte noch immer. Es lag zum Greifen nah, sie übersah es, da war sie sich sicher. Was nur?
Nathanael straffte sich. Sie wandte den Blick von ihm zu Chris. In der gleichen Sekunde wusste sie es.
Nathanael wies auf Chris. »Weil die Person, die diese Fähigkeit …«
»Wir geben einen Teil unserer Seele ab, wenn wir unsere Wunschträume in die Wirklichkeit zwingen. Der Traum ist dann nicht länger Bestandteil unserer Sehnsüchte und unserer Natur, denn er wird wahr. Der Teil unserer Seele, der diesen Wunsch forcierte, das innere Drängen, ist damit abgebaut und der dauerhafte Antrieb dessen, was wir schaffen. Das ist es.«
Chris schloss die Augen. »Deine Seele hat meine berührt, als ich starb. Du hast mich zurückgezwungen. Damit ist etwas von dir in mich übergegangen. Deswegen haben wir diese Verbindung.«
Camillas Herz machte einen schmerzhaften Sprung. »Aber weshalb ist die Verbindung einseitig?«
Nathanael wandte sich an sie. »Das liegt vermutlich an dir, Camilla. Du blockierst dich unbewusst. Alle Fantasie, der Wunsch, alles herauszufinden und in nichts nachzugeben, verschließt dir den Zugang zu Christophs Seele, obwohl du sie schon einmal berührt hast. Du musst dich ihm nur weiter öffnen und Zeit finden, dich auf ihn zu konzentrieren. Dann dürfte die Verbindung funktionieren.«
»Ich bin ein unsensibler Hackklotz.«
Chris’ Ellbogen traf sie unvorbereitet in die unverletzte Seite.
»Hey …«
Chris rollte die Augen. »Nathanael hat genau das Gegenteil zu sagen versucht. Du konzentrierst dich auf zu viel und nimmst alle Eindrücke deiner Umwelt auf, sodass du den Fokus zu mir außer Acht lässt. Du bekommst doch alles von mir mit, aber du kannst es nicht umsetzen, weil du versuchst, alles um dich zu verarbeiten.«
Seine Worte trafen sie leicht. Andererseits begriff sie. Tatsächlich hatte sie in den letzten Tagen versucht, sich auf alles einzulassen, was geschah, ohne zu differenzieren. Ihr Geist musste unter diesen Umständen blockieren, was sie vielleicht tiefer traf und mehr Feingefühl erforderte.
Chris lächelte. »Damit wäre allerdings erwiesen, dass das Perspektiv nur in den Händen von dir oder deinem Vater effektiv wäre …«
»Nathanael …« Hektisch sprengte Amelie in das Büro. Ihre Augen schienen zu brennen.
Alle Arbeiter, die bislang interessiert die Szenen zwischen ihrem Chef, Chris und Camilla verfolgt hatten, starrten nun Amelie an. Leise murmelte jemand. Für Camilla waren die Worte unverständlich. Ein anderer nickte. Zwei Frauen steckten die Köpfe zusammen.
Amelie ignorierte die Leute. Sie hielt das antike Fernrohr in die Luft.
»Das Perspektiv«, rief Chris erleichtert.
Etwas stimmte damit nicht. Auf den ersten Blick … das Licht brach sich nicht auf den Linsen.
Als Amelie das Fernrohr ablegte, sah Camilla, dass jemand die Okulare entfernt hatte. Kalter Schrecken durchfuhr sie.
»Wo sind die Linsen?«
Amelie zuckte mit den Schultern. »Sie suchen noch danach, aber ich denke, dass sie gestohlen wurden.«
»War es vielleicht dein Bruder?«, fragte Nathanael.
Camilla und Amelie schüttelten gleichzeitig die Köpfe.
»Denise wird die Okulare auch nicht haben, zumindest, wenn sie sie nicht irgendwo versteckt hat«, sagte Amelie bedrückt.
»Mein Vater hat es zuletzt benutzt.« Camilla strich über die Pläne auf dem Tisch. »Mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit hat er die Linsen.«
Der alte Mann richtete sich auf. »Sind sie bei Claus in guten Händen?«
Das war eine gute Frage. Sie konnte darauf keine Antwort geben.
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