Glaub an das Glueck, Annabelle
nicht nur beeindruckt war, sondern sich zu Stefano Cortez hingezogen fühlte. Schlimmer noch! Sie mochte ihn sogar irgendwie.
Sie hüstelte nervös.
Arbeit! Mein Allheilmittel! Nichts beruhigt und erdet mich schneller.
Ein kurzer Blick auf die Uhr verriet ihr, dass sie noch den Großteil des Nachmittags zur freien Verfügung hatte. Die Zeit wollte sie nicht ungenutzt verstreichen lassen. Ohne einen Gedanken an ihre Garderobe zu verschwenden, packte sie eine zweite Kamera in ihre Schultertasche und machte sich auf den Weg. Die Treppe hinunter, durch die große Eingangshalle und hinaus ins Freie.
Als Erstes steuerte Annabelle ein lang gestrecktes Gebäude an, das unter der schneeweißen Tünche ziemlich antik wirkte. Sie schaute hinein und zählte überrascht nur zwanzig Boxen, die allesamt von prachtvoll aussehenden Pferden belegt waren.
Das Stallinnere wirkte wie eine Hommage an eine längst versunkene Epoche. Als wäre sie plötzlich zweihundert Jahre zurück in die Vergangenheit katapultiert worden. Mit geschlossenen Augen inhalierte Annabelle den warmen Duft von frischem Heu, Pferdeschweiß und Leder. Sie machte ein paar Bilder und setzte ihren Erkundungsgang über das Anwesen fort – begleitet vom trägen Summen der Bienen und sanft gestreichelt von goldenen Sonnenstrahlen.
Ringsum erstreckten sich endlos scheinende grüne Weiden, auf denen junge Pferde übermütig galoppierten. Als sie eine hohe Baumgruppe passierte, entdeckte Annabelle ein weiteres Stallgebäude. Es war ebenfalls weiß gekalkt, aber viel größer und moderner als das Erste.
Lachend schüttelte sie über sich selbst den Kopf. Sie hatte doch nicht wirklich angenommen, der gesamte Pferdebestand des weltberühmten Gestüts würde in zwanzig antiquierten Boxen Platz finden? Natürlich hatte Stefano Cortez, ebenso wie im Haus, die wirklich wichtigen Bereiche seiner Hazienda modernisiert und bestens ausgestattet.
Neugierig öffnete sie auch diese Tür und betrat den riesigen Stall, in dem es mehr Luxusboxen und Pferde gab, als sie zählen konnte. Als sie gedämpftes Lachen hörte, ging sie weiter und traf in einem der Quergänge auf eine Truppe braun gebrannter, schlaksiger Teenager in Jeans und T-Shirt, die offensichtlich bester Laune waren.
Dabei standen sie nicht einfach nur herum, sondern arbeiteten voll konzentriert. Zwei schaufelten frisches Heu in die Pferdeboxen, die anderen striegelten das glänzende Fell geduldig verharrender Tiere. Als einer der Jungen merkte, dass sie nicht mehr allein waren, räusperte er sich hörbar, worauf die anderen sofort Haltung annahmen und alle den Überraschungsbesuch höflich auf Spanisch begrüßten.
„Buenas tardes, Señorita.“
„Necesita ayuda?“
Lächelnd schüttelte Annabelle den Kopf und antwortete ebenfalls auf Spanisch: „Ob ich Hilfe brauche? Nein danke, aber ich würde gern ein paar Fotos machen, wenn es euch nicht stört.“ So muss Stefano im gleichen Alter ausgesehen haben, dachte sie.
Die Jungen nickten und widmeten sich wieder ihrer Arbeit. Sie wirkten ausgesprochen locker und selbstbewusst, waren aber zu diszipliniert oder gut erzogen, um ihr mehr als einen verstohlenen Seitenblick zuzuwerfen, während sie fotografierte.
„Gracias“ , rief sie zum Abschied und trat wieder hinaus ins helle Sonnenlicht.
Nachdem sie noch etliche Bilder von den goldenen Feldern und der dunklen Kulisse der aufragenden Berge am Horizont aufgenommen hatte, setzte sie ein Teleobjektiv auf ihre große Digitalkamera, um ein paar Bilder von den galoppierenden Jungpferden machen zu können.
Hingerissen von den wundervollen Motiven und der reizvollen Landschaft, vergaß Annabelle Zeit und Raum und widmete sich mit aller Energie und großer Freude ihrer Arbeit. Als sie wieder zu sich kam, ging die Sonne bereits am Horizont unter und tauchte die ganze Umgebung in goldenes Licht, die Farbe reifer Pfirsiche.
Seufzend wischte sie sich den Schweiß von der Stirn und warf einen Blick auf ihr Handgelenk. Viertel nach sieben! Rasch begutachtete sie die Ausbeute ihrer Digitalkamera auf dem großen Display und runzelte die Stirn. Die Bilder waren gut. Trotzdem wurden sie diesem magischen Ort nicht gerecht. Irgendeine wichtige Komponente fehlte. Aber was?
Annabelle seufzte noch einmal und verstaute die Kamera. Ihr Arbeitstag war beendet. Über die Fotos würde sie morgen nachdenken. Jetzt blieb ihr nichts anderes übrig, als sich den Problemen der realen Welt zu stellen – was für sie die weitaus größere
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