Glaub an das Glueck, Annabelle
abzuschleppen, egal wie oft und bestimmt sie seine unbeholfenen Avancen abwimmelte. Als der übergewichtige Mann in mittleren Jahren daraufhin geschmollt hatte wie ein beleidigtes Kind, hatte sie gelacht und ihm einen ‚Trost-Whisky‘ an der Bar ihres Hotels ausgegeben, bevor sie ihn auf den Heimweg geschickt hatte.
Dabei war er nicht einmal so übel drauf gewesen wie die meisten seiner Geschlechtsgenossen. Er hatte wenigstens keinen Hehl aus seinen Absichten gemacht und versucht, sie auszutricksen, sondern war geradewegs auf sein Ziel losmarschiert.
Annabelle war diese direkte Art tausend Mal lieber als beispielsweise die schmierige Anmache eines amerikanischen Multimillionärs, der extra eine Foto-Session auf seiner Privatinsel in der Karibik inszeniert hatte, um sie in sein Luxusbett zu bekommen. Oder der verheiratete Duke, der sie zu einer Party in die schottischen Highlands eingeladen hatte. Beim Eintreffen auf dem Schloss hatte Annabelle feststellen müssen, dass sie der einzige Gast war.
Bedingt durch ihren Job und die persönliche Unabhängigkeit, glaubten sie alle, ein leichtes Spiel bei ihr zu haben. Und natürlich auch dank des hässlichen Gerüchts, das Patrick damals in die Welt gesetzt hatte. Vielleicht wäre es besser gewesen, sie wäre nie nach London gegangen, um Fotografie zu studieren.
Nach dem gewaltsamen Tod ihres Vaters hatte sie sich jahrelang auf Wolfe Manor verkrochen und bis zu ihrem zweiundzwanzigsten Geburtstag wie ein Geist in dem alten Gemäuer gelebt. Wäre sie dort geblieben, ginge es ihr heute möglicherweise besser, und sie müsste nicht so hart kämpfen, um sich mit der Außenwelt abzufinden.
Doch so dachte sie nur in ihren schwärzesten Stunden – oder wenn sie sich zutiefst verunsichert fühlte. Die Fotografie – egal, ob bei einem Fußballspiel in London oder in einem Naturschutzpark in Afrika – war ihr Lebenselixier. Mit der Kamera in der Hand fühlte Annabelle sich lebendig.
Ihre Arbeit schenkte ihr den lange vermissten und schmerzlich ersehnten Frieden. Mehr noch. Sie bedeutete Zufriedenheit und auch Freude. Und all das war sie nicht bereit aufzugeben, für keinen Mann der Welt!
„Sie wollen Ihre Ausrüstung da drüben neben dem Kamin stehen haben?“
Wie von der Tarantel gestochen schoss Annabelle vom Bett hoch und starrte Stefano aus schreckgeweiteten Augen an, der unter dem Berg von Gepäck kaum zu sehen war.
„Ja, d…anke“, stammelte sie und schaute fasziniert zu, wie er ihre Kameras, Stative, Schirme, Studiolampen, ihren Laptop und transportablen Drucker nach und nach ablud und daraus ein perfekt durchorganisiertes Arrangement zauberte.
„Wollen Sie kontrollieren, ob alles heil geblieben ist?“, fragte er abschließend mit erhobenen Brauen.
„Hmm …“, erwiderte Annabelle unbestimmt und biss sich auf die Unterlippe. Sie begutachtete zuerst ihre Ausrüstung und dann den Träger mit zweifelnder Anerkennung. „Sie haben das alles in einem Gang hier raufgeschleppt?“, fragte sie.
„Schien mir das Effizienteste zu sein“, kam es gelassen zurück.
„Wie, um alles in der Welt, haben Sie das geschafft?“
„Vielleicht bin ich doch nicht so ungeschickt, wie Sie gedacht haben.“
„Ich habe nie behauptet, Sie wären …“ Unter seinem eindringlichen Blick verebbten die letzten Worte. Annabelle hatte tatsächlich vergessen, was sie sagen wollte.
Um Stefanos Lippen spielte ein zufriedenes Lächeln. „Ich werde jetzt Ihren Wagen in die Garage fahren“, verkündete er. „Dinner um acht im Speisesaal. Ach übrigens, hier gilt eine legere Kleiderordnung. Wenn Sie das arrangieren können …“ Mit einem zweifelnden Blick auf ihren eleganten Hosenanzug wandte er sich auf dem Absatz seiner staubigen Lederstiefel um und verschwand.
Erst als die Tür hinter ihm zu war, stieß Annabelle hörbar den Atem aus. Stefano Cortez war tatsächlich anders als jeder Mann, mit dem sie bisher zu tun gehabt hatte. Hinter seinem routinierten Charme und dem teuflisch guten Aussehen verbarg sich eine physische Stärke, die sie beeindruckte.
Er hatte ihr gesamtes Equipment heraufgetragen … in einem Rutsch!
Sie selbst musste – dazu noch mit Maries Hilfe – dafür gewöhnlich vier bis fünf Mal laufen. Und dabei hatte er nicht einmal besonders angestrengt gewirkt. Ein rascher Kontrollblick zeigte ihr, dass wirklich nichts fehlte.
Annabelle holte tief Luft und versuchte, ihren Herzschlag zu kontrollieren. Wenn sie ehrlich war, musste sie zugeben, dass sie
Weitere Kostenlose Bücher