Glaub an das Glueck, Annabelle
hier? Neugierig lief sie in Richtung des rauschenden Wassers, beugte sich am Ufer des kleines Flusses nieder und spritzte sich dankbar das kühlende Nass ins erhitzte Gesicht. Ihr Herzschlag hatte sich endlich wieder normalisiert. Aber um Stefano Cortez jetzt schon wieder zu begegnen, dafür fühlte sie sich noch lange nicht stark und souverän genug.
Warum hatte dieser Mann nur so eine verheerende Wirkung auf sie?
Ein harmloser Schritt in ihre Richtung, und sie schreckte vor ihm zurück wie ein Feigling. Wie eine zimperliche Jungfrau …
Aber genau das bist du doch auch! warf sie sich selbst vor. Eine zimperliche, pathetische alte Jungfer!
„Komm schon, führ dich nicht wie eine zimperliche Jungfrau auf!“, hatte auch ihr heimlicher Schwarm in der Disco gesagt, während er versucht hatte, sie anzugrapschen. Damals war sie knapp fünfzehn gewesen und hatte sich heimlich ins Dorf geschlichen, um in die Disco zu gehen, in der sich auch ihr Zwillingsbruder Alex mit ein paar älteren Freunden herumtrieb.
„Verdammt, das ist nicht der richtige Ort für dich!“, hatte Alex geschimpft und sie gleich wieder in Richtung Tür gedreht. „Geh nach Hause, da bist du sicher.“
Ihr Bruder hatte nicht wissen können, dass er sie damit ihrem gewalttätigen Vater direkt in die Arme trieb. Nach einem erfolglosen Jagdtag hatte William Wolfe seinen Frust mit Unmengen von Alkohol hinuntergespült und drehte beim Anblick seiner minderjährigen Tochter im Minirock und mit ungewohntem Make-up völlig durch.
Instinktiv hob Annabelle die Hand und betastete Stirn und Wange. Sie fühlte die Narbe unter dem schützenden Make-up und verzog bitter den Mund.
Geh nach Hause, da bist du sicher …
Es gab keinen sicheren Platz auf der Welt. Und niemanden, der sich jemals in Sicherheit wiegen konnte. Menschen starben, verletzten, verließen oder hintergingen einander … wie ihre Mutter, ihr Vater, ihre Assistentin und Patrick.
Es war besser und sicherer, allein zu bleiben.
„Da bist du ja!“, ertönte eine tiefe Stimme hinter ihr und ließ sie zusammenfahren.
Annabelle wirbelte herum und starrte Stefano aus schreckensweiten Augen an. „Was tust du hier?“
„Dich suchen, was sonst?“
„Du … du bist mir gefolgt?“
„Das war nun wirklich nicht schwer.“
Ihre Schultern sackten herab. Sie war müde und hatte es so satt zu kämpfen oder immer wieder davonzulaufen. „Ich … das hättest du nicht tun müssen. Siehst du denn nicht, dass ich … dass ich arbeite?“
Die Morgensonne tauchte seinen kraftvollen, halb nackten Körper in ein goldenes Licht, und Annabelle musste heftig schlucken, als Stefano ganz langsam auf sie zukam. Doch sie riss sich mit aller Gewalt zusammen und blieb stocksteif stehen. Wortlos hielt er ihr die Kamera hin, die sie bei ihrer überstürzten Flucht hatte fallen lassen. Ihre Finger berührten sich ganz leicht, als Annabelle den Apparat verlegen entgegennahm. Und wieder zuckte sie zurück, was Stefano einen unterdrückten Fluch entlockte.
„Warum hast du nur immer so schreckliche Angst?“
Annabelle hatte das seltsame Gefühl auseinanderzufallen. „Angst? Vor dir?“
„Ja, verdammt!“, brach es aus ihm heraus. „Vor mir, vor allem! Vor dem Leben!“
Die Worte hingen zwischen ihnen in der Luft und hallten in ihrem Kopf wider.
„Ich … ich will einfach nicht von dir verführt werden“, behauptete sie schwach.
„Und ob du das willst!“ Stefano brachte sein dunkles Gesicht ganz dicht an ihres. „Du sehnst dich sogar voller Verzweiflung danach, Querida. Und du bist nicht bis hierher gerannt, um zu fotografieren, sondern weil ich dir zu nahe gekommen bin. Um das zu verhindern, setzt du deine demonstrative Kälte, deine Grobheit und deine verdammte Kamera ein! Um Menschen auf Abstand zu dir zu halten.“
Sie schluckte und senkte den Blick. „Ja.“
„Aber warum?“
„Weil … weil es immer schlecht endet, wenn mir jemand nahe kommt.“
Plötzlich wurde sein Blick ganz weich, und er streckte die Hand aus, um ihr über die Wange zu streichen. „ Querida , nur weil eine Reise mal danebengeht, heißt das doch nicht gleich …“
„Ich bin nicht wie du, okay?“, unterbrach Annabelle ihn hastig und wich zurück, bevor er womöglich ihre unsichtbare Narbe berührte. „Ich versuche nicht, völlig fremde Menschen zu verführen, stehe nicht auf One-Night-Stands in anonymen Hotels oder suche mir Liebhaber, die ich niemals mit nach Hause nehmen würde!“
„Wie auch, du hast ja gar kein
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