Glaub an das Glueck, Annabelle
Blick, bevor sie noch einen unstatthaften Vergleich zwischen dem prachtvollen Hengst und seinem Besitzer anstellte und so die friedliche Atmosphäre zwischen ihnen womöglich gefährdete. Überraschend und unerwartet fühlte sie sich plötzlich seltsam leicht und beschwingt.
„Wen würdest du mir denn empfehlen?“
„Hier, das ist Josefina“, stellte Stefano das Pferd in der nächsten Box vor. „Sie wird auf dich aufpassen wie eine Mutter“, versprach er, führte die hübsche Stute in die Stallgasse und sattelte das geduldige Tier. Dabei beobachtete er Annabelle aufmerksam aus den Augenwinkeln.
Sie konnte sich plötzlich viel eher vorstellen, auf Josefina auszureiten, als noch länger Stefanos beunruhigende Nähe in dem warmen, anheimelnden Pferdestall auszuhalten. Als er die Stute nach draußen führte, ignorierte sie seine angebotene Hand, setzte ohne zu zögern einen Fuß in den Steigbügel und schwang sich mit einer Leichtigkeit in den Sattel, die sie selbst überraschte.
Ihr Körper schien sich an die alten Zeiten zu erinnern und übernahm die Regie. Ihr Sitz wirkte elegant, die Zügel lagen so leicht und wie selbstverständlich in Annabelles Händen, dass Stefano leise applaudierte.
„Excelente!“ , lobte er. „Du hast offensichtlich nicht vergessen, wie man auf einem Pferd sitzt.“
Zügig sattelte er sein eigenes Pferd. Als er kurz darauf neben Annabelle auftauchte, stellte sie fest, dass Stefano den Hengst ritt, vor dem er sie eben noch gewarnt hatte.
„Mir nach“, kommandierte er lächelnd und fiel in einen leichten Trab.
Er wirkte, als wäre er auf einem Pferderücken geboren worden. Während Annabelle ihm brav folgte, konnte sie den Blick einfach nicht von seinen breiten Schultern abwenden. Als Stefano das Tempo plötzlich anzog, war es, als erwache sie aus einer Trance. Seltsamerweise bereiteten ihr auch die schnelleren Gangarten kein Problem.
„Worauf wartest du?“, forderte er sie lachend heraus, und Annabelle fühlte Adrenalin in ihren Adern aufsteigen als wäre es prickelnder Champagner.
Es dauerte nicht lange, da hatten sie die Hazienda hinter sich gelassen und galoppierten über eine weite Ebene. Kaum hatte sie zu Stefano aufgeschlossen, trieb Annabelle ihre Stute an und zog an dem schwarzen Hengst vorbei, nicht ohne seinem Reiter einen herausfordernden Blick zu gönnen.
Sie hörte Stefano laut auflachen und das gewaltige Donnern schwerer Hufe in ihrem Rücken. „Bis zu dem grünen Hügel mit dem Schuppen!“, rief er ihr zu.
Annabelle fühlte sich so frei wie der Wind, der durch ihr Haar strich. Für einen beseligenden Moment war sie wieder jung und unbeschwert. Am Horizont konnte sie den Ozean sehen, wie er sich im Blau des Himmels widerspiegelte. Überraschung, Erregung und pure Lebensfreude brachen sich in einem wilden Schrei Bahn.
Stefano, der sie nach dem kurzen Überraschungsschock mit frustrierender Leichtigkeit eingeholt hatte, lachte und schüttelte den Kopf. „Wie hast du nur das Reiten aufgeben können?“
„Ich weiß es auch nicht!“, rief sie ihm zu und kümmerte sich nicht um die hellen Tränen, die ihr dabei über die Wangen liefen. Annabelle fühlte sich, als hätte sie zwanzig Jahre in einem Dornröschenschlaf gelegen und wäre plötzlich aufgewacht.
Oder bin ich von einem dunklen, hinreißenden Prinzen wachgeküsst worden?
Als sie auf dem begrünten Felsplateau angekommen waren, stiegen sie von den Pferden. Erst jetzt spürte sie, wie sehr der Ritt sie gefordert hatte. Ihre Beine fühlten sich an wie Pudding und hätten fast unter ihr nachgegeben. Stefano führte die Pferde in den halb offenen Holzschuppen und versorgte sie dort.
Froh über die unerwartete Pause überprüfte Annabelle ihr Make-up in dem kleinen Taschenspiegel, den sie immer bei sich trug – ebenso wie ein flaches Notfalldöschen Camouflagecreme. Erleichtert atmete sie auf. Ihr Haar hatte sich aus dem Knoten gelöst und fiel ihr wirr ins Gesicht, aber sonst war noch alles an seinem Platz. Vielleicht wäre es doch nicht so schlimm, auf der Hazienda mitzuarbeiten, wie sie befürchtet hatte.
Als Stefano aus dem Schuppen zurückkam, trug er ein Lasso in der Hand. Dann holte er das erste Fohlen von der angrenzenden Weide und führte es in einen eingezäunten Pferch. „So, pass jetzt gut auf“, wandte er sich an Annabelle. „Später sollst du das übernehmen.“
Vier Stunden lang arbeitete er mit den aufmüpfigen Jungpferden, die lernen sollten, auf seine Kommandos zu reagieren.
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