Glaub an die Liebe, Kit
Brief eine Überraschung für Dich sein wird – und ich bin nicht so naiv zu glauben, dass es nach all der Zeit, die vergangen ist, eine angenehme ist. Doch ich muss meine Angst überwinden und mich den Dingen stellen, um die ich mich längst hätte kümmern müssen.
Sophies Herz begann, schneller zu schlagen. Sie blickte zu Kit und wollte gerade etwas sagen, aber er hatte den Kopf abgewandt und schien sich intensiv mit einem anderen Brief zu beschäftigen. Schweigend las sie weiter.
Es tut mir so leid … das möchte ich Dir als Erstes sagen, auch wenn die Worte ein bisschen sehr spät kommen. Es gibt so vieles, was ich hinzufügen möchte. Wie gerne würde ich Dir alles in der Hoffnung erklären, dass Du mein damaliges Verhalten verstehst und mir vielleicht sogar verzeihst. Und es gibt Dinge, die Du, um Deine Interessen zu wahren, wissen musst. Dinge, die sich auf die Gegenwart und die Zukunft Deiner Familie auswirken.
Beim Lesen dieser Zeilen strömte Adrenalin durch Sophies Adern. Ihr Blick huschte schneller über die Worte, sie konnte es kaum abwarten herauszufinden, was der Schreiber meinte.
Das Letzte, was ich tun möchte, ist, Dich zu einer Antwort zu drängen. Du bist jetzt im Besitz meiner Adresse. Deshalb möchte ich nur sagen, dass Du aufs Herzlichste eingeladen bist, mich, wann auch immer es Dir passt, zu besuchen. Die Entscheidung überlasse ich ganz Dir.
Dich wiederzusehen würde mir unendlich viel bedeuten.
Deine hoffnungsvolle Mutter
Juliet Fitzroy
Langsam ließ Sophie den Brief sinken, ihre Gedanken rasten.
„Deine Mutter will, dass du sie besuchst?“, fragte sie – nicht gerade die schlauste Eröffnung.
„So scheint es, Mr Holmes.“
„Wirst du gehen?“ Sie schaute noch einmal auf den Brief, um die Adresse zu lesen. „Nach Imlil“, murmelte sie verwirrt und musterte die Zeile darunter. „Du meine Güte … Marokko?“
„Genau“, entgegnete Kit gelangweilt und warf den Brief in den Papierkorb. „Das ist nicht gerade um die Ecke, und ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, was sie mir zu sagen hätte.“
„Ich frage mich, wieso es sie dorthin verschlagen hat. Und weshalb sie ausgerechnet diesen Zeitpunkt gewählt hat, um Kontakt mit dir aufzunehmen.“
„Ich nehme an, sie weiß, dass ihr kleines Geheimnis durch Ralphs Tod ans Licht gekommen ist. Vielleicht möchte sie mir meinen richtigen Vater vorstellen … was bedeutet, dass sie ihn kennt. Soweit ich weiß, gibt es dafür ein Dutzend potenzielle Kandidaten.“
Plötzlich wurde Sophie ganz schwummrig vor Augen, als ihr nämlich der Brief wieder einfiel, den sie in der Bibliothek von Alnburgh gefunden hatte. Schon damals hatte sie gewusst, dass es falsch war, ihn zu lesen, aber nach einem Blick auf die ersten Zeilen hatte sie nicht widerstehen können. Jetzt wünschte sie, sie wäre stärker gewesen, dann würde sie sich nicht in der unangenehmen Situation befinden, mehr über Kits Vater zu wissen, als er selbst.
„Gibt es nicht.“ Sie atmete tief ein und aus. „Sie kennt ihn.“
„Woher willst du das wissen?“, fragte Kit nach einer langen Pause.
„Erinnerst du dich an jenen Tag in Alnburgh, als ich … krank geworden bin?“ Völlig unvorbereitet hatte sie ihre Periode bekommen, und Kit hatte ihr die nötigen Utensilien aus dem örtlichen Krämerladen besorgt. „Ich habe in der Bibliothek auf dich gewartet.“
„Und?“
„Und ich habe mir die Bücher angesehen. In einem der moderneren Taschenbücher habe ich einen Brief gefunden.“ Eingehend betrachtete sie ihre Hand und vor allem den Fingernagel, den sie eigentlich vor Kits Rückkehr hatte feilen wollen. „Es war ein Liebesbrief. Die ersten Worte lauteten: Mein Liebling!“
Kit würdigte sie keines Blickes, sondern starrte aus dem Fenster.
„Anfangs dachte ich, der Brief sei von Ralph. Die Worte klangen so gefühlvoll und romantisch, ich konnte mir kaum vorstellen, dass er eine so poetische Ader besaß.“
„Von wem war er dann?“
„Das weiß ich nicht. Du bist zurückgekommen, bevor ich ihn zu Ende lesen konnte. Und danach habe ich einfach nicht mehr daran gedacht.“
„Woher weißt du dann, dass er nicht von Ralph war?“
„Weil von dir die Rede war. Offenbar kam der Verfasser gerade von einem Besuch in Alnburgh zurück. Er schrieb, wie schmerzhaft es für ihn sei, dich zurückzulassen und wie weh es ihm tat, dass du Ralph für deinen Vater hältst.“
„Warum hast du mir das nicht schon früher gesagt?“, fragte Kit mit
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