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Gleitflug

Gleitflug

Titel: Gleitflug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne-Gine Goemans
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ganz Allgemeines noch nicht hinausgekommen.
    Der Dienstwagen seines Vaters fuhr auf den Hof. Ein knallgelber Jeep mit Ultraschall- und anderen Lautsprechern auf dem Dach. Damit sollten die Vögel von den Pisten ferngehalten werden. Unter den Aufnahmen von Vogellauten waren Rufe von Vögeln in Lebensgefahr, bei denen es einem eiskalt den Rücken herunterlief. Vor allem das Kreischen einer Möwe in Todesangst vertrieb die Artgenossen sofort.
    Gieles’ Vater stieg aus dem Wagen, das Handy am Ohr. Er machte ein ernstes Gesicht. Gieles zappte zu Fußball weiter. Bald darauf kam sein Vater mit einem Bier ins Wohnzimmer.
    »Na, Männer«, sagte er und ließ sich auf das dunkelgraue, dreisitzige Sofa fallen, das früher so gut zur ganzen Einrichtung gepasst hatte. Aber seit Onkel Freds Möbel mit im Wohnzimmer standen – das Englische-Rosen-Sofa, das Mahagonibüfett und das Teeschränkchen –, war es mit der Einheitlichkeit vorbei.
    »Wie war’s?«, fragte Onkel Fred seinen Zwillingsbruder.
    »Noch mal Glück gehabt«, antwortete Willem Slob, der nie sehr gesprächig war. Und wenn er doch einmal anfing zu reden, machte er so schnell wie möglich wieder eine Pause. Berufskrankheit nannte er das. Er hatte den Rhythmus seiner Äußerungen dem der Starts und Landungen angepasst. »Tausende von Staren über der Piste, gingen dann auf die Äcker runter. Noch mal Glück gehabt.«
    Nach jedem Arbeitstag erzählte er so etwas. Noch mal Glück gehabt. Onkel Fred und Gieles hörten es schon nicht mehr. Willem Slob erwartete auch keine Reaktion. Schwalben, Möwen, Gänse, Eulen, Stare, Kiebitze, Austernfischer, Bussarde,Schwäne. Sogar Fledermäuse. Hunderttausende von Vögeln machten auf dem Flughafen einen Zwischenstop. Am Himmel gab es einen Wirrwarr von unsichtbaren Vogelflugrouten, aber für Gieles’ Vater waren sie nicht unsichtbar. Wenn Willem die Augen schloss, konnte er die Vogelautobahnen sehen. Seine Aufgabe war es, all die Vögel auf sichere Distanz zu halten. Im Grunde eine unmögliche Aufgabe.
    Willem Slob trank einen Schluck Bier und wandte seine Aufmerksamkeit dem Fußballspiel zu.
    Onkel Fred zog sich an seiner Krücke hoch. »Wir können gleich essen.« Das Klickklack der Krücke begleitete ihn in die Küche.
    Gieles deckte den Tisch und setzte sich. Nur wenn seine Mutter unterwegs war, saßen sie auf festen Plätzen. Er hatte Aussicht auf den schmalen Garten hinterm Haus, den Graben und die Startbahn. Das schwarze Wasser glitzerte in der Abendsonne. Die Nase einer ausrollenden Maschine erschien im Küchenfenster, dann bewegte sie sich nicht mehr. Die Piloten oder Passagiere konnten die drei Personen im Haus nicht sehen. Seine Mutter hatte einmal in einem Flugzeug direkt vor dem Haus warten müssen, aber nicht hineinblicken können. Das Flugzeug hatte sich in den Fenstern gespiegelt.
    »Donnerstag Abend machen wir ein Experiment mit einem Robotervogel«, sagte Willem. Er spießte immer so viele Makkaroni wie nur möglich auf die Gabel. Alles an ihm war groß. Mund, Ohren, Nase, Hände. Die Bewegungen. Frauen fanden ihn offenbar aufregend und anziehend. Sie beobachteten ihn heimlich, wagten ihn aber nicht anzusprechen. Manchmal waren Frauen aus Onkel Freds Leseclubs zu Besuch, und wenn Gieles’ Vater versehentlich ins Zimmer kam, benahmen sie sich auf einmal affig.
    Willem Slob schaute seinen Sohn an. »Vielleicht würde es dir Spaß machen, ihn dir anzusehen. Den Robotervogel.«
    »Donnerstag … ich glaube, das geht«, antwortete Gieles.
    Sein Vater schob den leeren Teller von sich weg und ließ die Hände auf der Tischplatte liegen.
    Gieles hätte gern nach einer dieser Pranken gegriffen, aber er befürchtete, kindisch zu erscheinen. Er blickte auf seine eigenen Hände, die so viel kleiner wirkten, fast wie die eines Kindes. Sie hatten noch nichts erlebt. Seine Finger hatten noch nie die Haut eines Mädchens erkundet, die aufregendste Stelle erst recht nicht. Im Kindergarten hatte er einmal mit einem Finger im Hintern eines Mädchens gepult, aber es hätte ebenso gut die Nase sein können. Die Handlung hatte einen rein praktischen Zweck gehabt. Der Filzstift war das Fieberthermometer, und die Kappe des Stifts war nach dem Fiebermessen stecken geblieben. Gieles wollte die Kappe wiederhaben. Die Erzieherin schimpfte nämlich, wenn die Kappen nicht wieder auf die Filzstifte geschoben wurden. Sie hatte Angst vor ausgetrockneten Stiften (und vor Läusen, saurer Milch, schmutzigen Schuhsohlen, Schürfwunden und

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