Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Glennkill: Ein Schafskrimmi

Glennkill: Ein Schafskrimmi

Titel: Glennkill: Ein Schafskrimmi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leonie Swann
Vom Netzwerk:
konnten. Es war ein beruhigendes Gefühl.
    Dann – plötzlich – ein lauter Knall. Ein Stuhl war umgefallen. Gleich darauf krachte eine Tür ins Schloss. Die Menschen drehten überrascht die Köpfe.
    »Was war denn das?«, raunte es durch den Saal.
    »Father William!«, antwortete jemand. »Keine Ahnung, was mit dem los ist! Einfach so zur Tür hinaus, als wäre der Teufel hinter ihm her!«
     
    *
    Unbemerkt von den anderen hatte sich zwischen Othellos Hörnern ein mulmiges Gefühl eingeschlichen. Waren es die vielen Zuschauer? Er spürte ihre Augen auf sich wie Zecken im Fell; genauso, wie er sie damals gespürt hatte, als Lucifer Smithley ihn zum ersten Mal in eine Manege zerrte. Othello wartete auf die Stimme. Sie würde etwas Beruhigendes sagen oder etwas Provozierendes oder etwas, das ihn zum Nachdenken brachte. In jedem Fall würde die Stimme das Unbehagen verscheuchen.
    Aber Othello hörte nichts. Er lauschte in sein vorderes rechtes Horn. In sein vorderes linkes. In sein hinteres linkes und schließlich in sein hinteres rechtes. Nichts. Gar nichts. Schweigen. Othello blieb vor Überraschung stehen. Die Stimme war verschwunden! Zum ersten Mal nach so langer Zeit war er allein. Ein Zittern lief über Othellos Fell. Irgendwo zwischen den Zuschauern lauerte die Panik auf ihn. Doch gerade, als sie Othello anspringen wollte, spürte er einen sanften Schubs an seinem Hinterteil. Es war Zoras samtige Schafsnase, die ihn zum Weitergehen antrieb. Othello nahm sich zusammen. Er hatte den Hund schließlich besiegt. Viele Hunde. Er war der Leitwidder. Und heute, an diesem besonderen Tag, war er der Tod.
    »Manchmal ist Alleinsein ein Vorteil«, dachte Othello und setzte seine schwarzen Hufe entschlossen auf das Podest.
    Zora war erleichtert. Nach einem Moment des Zögerns hatte sich Othello wieder in Bewegung gesetzt. Endlich. Das lange Warten hatte sie nachdenklich gemacht, und heute, auf der Bühne des Smartest-Sheep-of-Glennkill-Contest, wollte Zora ausnahmsweise so wenig nachdenken wie möglich. Aber es war zu spät. Zora dachte an das, was der Mann mit der Brille gesagt hatte. Lammfleischspezialitäten. Sie dachte an den fremden Widder. Denn alles Fleisch, es war wie Gras. Sie weideten es ab wie das Gras. Deswegen hatten sie gelacht. Deswegen gab es den Metzger. Zora sah in all die Gesichter, die Lammfleischspezialitäten gewinnen wollten. Ein Abgrund, der schon immer da gewesen war, direkt vor ihr, und von dem sie nie etwas geahnt hatte. Die Möwen schwiegen. Zum ersten Mal in ihrem Leben fühlte sich Zora schwindelig.
    Verwirrt spähte sie in alle Richtungen. Dann schwebte auf einmal einige Schritte von ihr ein vollkommenes kleines Wolkenschaf. Es war der Pfeife eines jungen Mannes in der zweiten Reihe entstiegen. Zora wusste, dass es nicht wirklich ein Wolkenschaf war. Aber es erinnerte Zora daran, wozu der Abgrund da war: Der Abgrund war da, um überwunden zu werden. Trittsicher kletterte sie hinter Othello her auf die Tribüne. Heute war Zora der Schäfer.
    Miss Maple trabte hinter Zora und Othello her, guter Dinge, aber angespannt bis in die letzte Haarspitze. Es war ihr Plan gewesen. Würde er funktionieren? Würden die Menschen verstehen, was sie ihnen da zeigten? Die Schafe hatten es verstanden, alle, die ganze Herde. Einige waren bei den Proben sogar erschrocken auf den Hügel galoppiert, so schrecklich und echt war ihnen die Szene vorgekommen, die sich Miss Maple zusammen mit ihnen ausgedacht hatte. Maple dachte optimistisch, dass die Menschen an ihren guten Tagen auch nicht viel dümmer waren als Schafe. Zumindest nicht viel dümmer als dumme Schafe. Aber würden sie ihnen glauben? Und was würde dann geschehen? Miss Maple war sehr gespannt darauf, wie die Gerechtigkeit aussah. Neugierig betrat sie die Holzplanken und blinzelte furchtlos zu den Zuschauern hinunter. Miss Maple war der Wolf.
    Mopple the Whale trabte etwas kurzatmig hinter den anderen her, den Lappen zwischen den Zähnen. Der widerliche Gestank war schuld daran, dass Mopple nur in kurzen, hastigen Atemzügen Luft holen konnte. Abgesehen davon ging es Mopple erstaunlich gut. Er wusste, was er zu tun hatte. Er hatte sich alles gemerkt. Und Mopple war wichtig. Selbst die begriffsstutzigsten Schafe hatten nach seinem Auftritt erkannt, wen Maple darstellte. Wer der Mörder war. Mit selbstbewusst erhobenen Hörnern und vorsichtigen Hufen trat Mopple auf die Bühne – und erstarrte.
    Denn dort, in der ersten Reihe, nur wenige Schritte von ihm

Weitere Kostenlose Bücher