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Glennkill: Ein Schafskrimmi

Glennkill: Ein Schafskrimmi

Titel: Glennkill: Ein Schafskrimmi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leonie Swann
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war’s«, raunte eine mausgesichtige Frau zwei kleinen blonden Kindern zu.
    »Gott sei ihm gnädig!«, sagte eine andere mit zitternder Stimme. Die Schafe kannten sie. George hatte sie »die barmherzige Beth« genannt. Beth tauchte regelmäßig vor dem Schäferwagen auf, um George zu irgendwelchen »guten Werken« zu überreden. Die Schafe wussten nicht genau, was gute Werke waren, dachten aber, dass George wohl in irgendeinem Gemüsegarten arbeiten sollte. George hatte aber seinen eigenen Garten. Die Schafe verstanden, dass er sich gegen die Frau wehrte. Die Frau verstand es offenbar nicht. Für jede Absage drückte sie George einen Stapel dünner Heftchen in die Hand, um seine sündige Seele zur Umkehr zu bewegen. Was mit Georges Seele geschah (wenn er überhaupt eine hatte), konnte man nicht erkennen. Aber die Heftchen freuten ihn sehr, obwohl er niemals darin las. Am folgenden Abend gab es dann jedes Mal Kartoffeln, die George über einem kleinen, flackernden Feuer röstete.
     
    *
    Plötzlich sprang der Feind unter die Schafe – der uralte Feind, vor dem man nur davonrennen konnte. Bis vor kurzem waren es nur ein paar gewesen, die auf der Weide herumgeschnüffelt hatten, ab und zu von ihren Herren zurückgepfiffen wurden, sich hinlegen mussten und bei nächster Gelegenheit wieder das Weite suchten. Nichts Ungewöhnliches. Aber je näher die tuschelnden Grüppchen am Dolm zusammenrückten, desto weiter wurden die Erkundungsgänge der Hunde. Niemand kümmerte sich mehr um sie. Jetzt hatten sie sich zu einer kleinen Meute zusammengeschlossen, drei Schäferhunde und ein anderer. Die Augen der Schäferhunde glänzten. Ihr geschecktes Fell flackerte über die Weide. Geduckt schlichen sie sich an den Hügel heran. Die Schafe blökten aufgeregt. Jetzt würden sie gleich gehütet werden, kreuz und quer, auseinander und zusammen, getrieben von den raubtierhaften Bewegungen der Schäferhunde, denen kein Schaf widerstehen kann. Sie hatten nicht wirklich Angst, sie waren schon tausendmal gehütet worden, aber das alte Unbehagen hatte sie gepackt.
    Dann sahen sie, wie sich der andere Hund bewegte, und ihre Nervosität schlug in Furcht um. Scheinbar tat der graue Wolfshund das, was die Schäferhunde auch taten: Er duckte sich, wartete, kam näher. Aber irgendetwas war verkehrt. Er bellte nicht, er zögerte nicht. Es war, als würde er den Tanz der Schäferhunde nur imitieren, ein Spiel, an dem er teilnahm, ohne mitzuspielen. Einen Moment lang hielt die ganze Herde den Atem an: Zum ersten Mal in ihrem Leben wurden sie gejagt. Der Hund rannte los.
    Jetzt brach ungezügelte Panik aus. Die Herde spritzte in alle Richtungen auseinander und riss die verdutzten Schäferhunde mit sich fort. Mopple rannte mitten durch die Menschenmenge und warf den Sünder Harry um. Zora rettete sich auf ihre Felsnase. Von dort aus konnte sie als einziges Schaf beobachten, was passierte.
    Der Hügel war leer. An seinem Fuße, nahe bei George’s Place, lagen zwei dunkle Körper, Othello und der Hund. Beide waren gerade dabei, wieder auf die Beine zu kommen. Othello hatte es als Erster geschafft und griff an. Zora hatte noch nie ein Schaf angreifen sehen. Othello hätte fliehen sollen. Othello hätte fliehen müssen. Der Hund zögerte. Es dauerte einen Augenblick, bis er in dem heranfliegenden schwarzen Othello seine Beute erkannte. Dann spurtete er los. Kurz vor dem Zusammenprall wurde er unsicher, bremste und wich im letzten Moment zur Seite. Othello änderte sofort die Richtung und galoppierte in einem kleinen Bogen wieder auf den Hund zu. Zora starrte ungläubig zum Hügel. Ihr wurde klar, dass Othello schneller war als der Hund. Der Hund hatte das anscheinend auch verstanden. Er kauerte sich mit gebleckten Zähnen auf den Boden, um den Widder von unten anzuspringen.
     
    *
    Zora schloss schnell die Augen und dachte an etwas anderes. Es war ihr Gedanke für die schlechten Momente des Lebens. Sie dachte an den Tag, an dem sie ihr erstes Lamm zur Welt gebracht hatte, an die Schmerzen und an den Ärger danach. Erdbraun war es gewesen, selbst nachdem sie ihm lange und sorgfältig das Blut aus dem Fell geleckt hatte. Erdbraun mit einem schwarzen Gesicht. Später wurde aus dem Braun ein wolliges Weiß, aber das konnte Zora damals noch nicht wissen. Sie hatte sich gewundert, warum von allen Schafen auf der Weide nur sie kein weißes Lamm zur Welt gebracht hatte. Doch dann hatte es geblökt, klein und erdbraun, mit einer Stimme, schöner als die aller

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