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Gletscherkalt - Alpen-Krimi

Gletscherkalt - Alpen-Krimi

Titel: Gletscherkalt - Alpen-Krimi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan König
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Ein
Rollstuhlfahrer wie ich wird bei diesem Typen, wenn er sich denn hier aufhält,
weniger Verdacht erregen als ein Postbote oder eine Frau, die ihren Hund zum
Kacken ausführt.«
    Er sah die skeptische Miene Wasles.
    »Du musst dir keine Sorgen machen. Ich werde schon nicht im Weg
umgehen, wenn ihr zugreifen müsst. Aber nur hier rumhocken, nein, das halt ich
nicht aus.«
    Wasle klopfte ihm auf die Schulter, schob die Unterlippe vor und
nickte zögernd, aber letztlich doch zustimmend.
    »Geh bitte keine Gefahr ein, Paul«, sagte er. »Und noch etwas: Halte
dich immer aus der Schusslinie. Versprichst du mir das?«
    Schwarzenbacher sah ihn ernst an.
    »Du meinst, weil ich nicht mehr laufen kann, bin ich auch zu sonst
nichts mehr in der Lage. Da täuschst du dich, mein Lieber. Hab meinen Verstand
schon noch beieinander …«
    »So war es doch nicht gemeint!«, rief ihm Wasle noch nach, konnte
sich aber nicht sicher sein, dass der alte, kranke, bitter gewordene Kriminaler
das noch hörte.
    Er umrundete den Block, rollte ohne Hast über die Gehsteige.
Schaufenster wären ihm jetzt lieb gewesen. Da hätte er stehen bleiben können
und so tun, als ob ihn etwas von den Auslagen interessierte. Doch es war wie
überall: Die kleinen Läden, die es einmal gegeben hatte, waren verschwunden.
Das alltägliche Geschäftsleben spielte sich fast nur noch in den Fußgängerzonen
der Innenstädte und in den lieblos hingebauten Einkaufszentren der
Gewerbegebiete ab. Läden, wo man die Eigentümer gekannt hat und wo man von
ihnen mit Namen begrüßt worden ist, waren so selten geworden wie gute
Sammlerstücke aus Vinyl.
    Schwarzenbacher ließ sich Zeit. Es war egal, ob er sich in der
Straße aufhielt, wo die Tinhofers daheim waren, oder in der Parallelstraße oder
einfach nur ums Eck. Wichtig war ihm, in der Nähe sein zu können.
    Denn hier, in diesem Wohnviertel, in diesen Straßen, wahrscheinlich
in dem Haus, wo die Tinhofers wohnten, musste sich dieser Fall entscheiden. In
diesen Minuten oder in einer Viertelstunde. Die Ermittlungen würden eine
Wendung erfahren, dessen war er sich gewiss. Was ihn plagte, war die Ungewissheit,
ob es eine Wendung zum Guten oder zum Schlechten sein würde.
    *
    Raffl hatte sich getäuscht. Das merkte er in dem Augenblick, da
er hinter dem Mann in das Zimmer trat, in dem es nach Angst, Urin und Tod roch.
Er sah die Frau, sah ihre gefesselten Hände und ihre gefesselten Füße, sah,
dass sie geknebelt war und ihr Gesicht sich bereits bläulich verfärbt hatte,
dachte: Sie ist tot, konnte sich aber nicht sicher sein. Und so war er
chancenlos, als der Mann im nächsten Augenblick lächelnd neben der Frau am Rand
der Couch saß und ihr ein Rasiermesser an den Hals hielt. Raffl hatte nicht die
geringste Ahnung, wo das Messer, ein altmodisches Klapp-Rasiermesser, plötzlich
herkam. Eine Sekunde lang dachte er an die Waffe, die er dabeihatte. In der
nächsten Sekunde wurde ihm bewusst, dass die Frau sein Eingreifen nicht
überleben würde – falls sie denn noch lebte. Wenn der Mann der war, den sie
suchten, dann würde er der Frau ohne Skrupel die Hauptschlagader öffnen, mit
einem kleinen, entschlossenen Schnitt.
    »Stell Paket auf den Boden«, sagte der Mann. »Langsam. Alles machst
du langsam jetzt.«
    Raffl tat wie ihm geheißen.
    »Bist du von der Post oder bist du Bulle?«
    Raffl zögerte. Dieses Zögern dauerte einen Moment zu lang. Der Mann
reagierte sofort: »Bulle!« Er drückte nur leicht auf das Messer, und Raffl sah,
wie ein Schnitt am Hals leicht zu bluten begann. Das Gute daran: Die Frau gab
ein stöhnendes Geräusch von sich. Sie lebte also noch.
    Noch lebt sie, dachte er.
    »Leg deine Waffe auf Boden. Bin sicher, dass du bewaffnet bist. Und
dann zieh dich aus.«
    Raffl nahm die Waffe heraus. Wieder zögerte ein Teil seines inneren
Ichs: Wäre das nicht der richtige Moment, um zu handeln? Der richtige und der
letztmögliche Moment. Wenn alles gut ginge, hätte der Mann ein Loch im Kopf,
bevor er das Messer auch nur mehr einen Millimeter weit bewegen konnte. Aber
wenn nicht? Wenn nicht alles gut ginge?
    Er legte die Waffe auf den Boden.
    »Schieb sie her. Und zieh dich endlich aus.«
    Raffl zog die Jacke aus und das Polohemd. Er legte es beinahe so
vorsichtig ab wie zuvor die Pistole, die mittlerweile der Mann in der anderen
Hand hielt.
    »Mach weiter. Alles aus. Bisschen schnell.«
    Raffl schlüpfte aus den Schuhen, öffnete den Gürtel und wand sich
aus seinen Jeans.
    Er wollte keine Angst

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