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Gletscherkalt - Alpen-Krimi

Gletscherkalt - Alpen-Krimi

Titel: Gletscherkalt - Alpen-Krimi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan König
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geekelt und geniert, wenn
nicht das vorherrschende und alles, sogar den Schmerz überdeckende Gefühl die
Todesangst gewesen wäre.
    Er schluchzte und schrie und jammerte und fluchte. Er wusste nicht,
ob es Morgen, Mittag, Nachmittag oder Abend war. Ihn umgab die Nacht, und er
hatte nicht die leiseste Ahnung, wie lange er schon in dieser tödlichen Nacht
gefangen war.
    In den Momenten, da er sich ein wenig beruhigte und den Schmerz ein
bisschen besser in den Griff bekam, suchte er in seinen Erinnerungen weiter
nach Gründen für das, was hier mit ihm geschah.
    Wer rächte sich?
    Er hatte als Journalist und Redakteur oftmals in Wunden gestochen,
hatte Leute, insbesondere Politiker, Unternehmer und irgendwelche Promis
verletzt – und hatte das bisweilen mit gewissem Genuss getan. Auch das aber lag
lange zurück, und er fand keine Spur, die in eine gangbare Richtung gewiesen
hätte.
    Je länger er rätselte und dabei diese unmenschlichen Schmerzen
erlitt, desto unumstößlicher wurde in ihm die Gewissheit, dass er sterben
würde.
    Ihm fiel der Speck ein, den er beim Bauern Rifesser schon für den
Herbst vorbestellt hatte. Und er dachte an die Alm, wo die Schweine ein schönes
Leben führen würden, bevor sie abgestochen wurden. Er dachte an die Berge, die
er nie mehr zu sehen glaubte. Er flehte um Hilfe, um Wasser, um Erlösung.
    Doch es erlöste ihn niemand.
    Als er irgendwann wieder die Besinnung verlor, war das zumindest so
etwas Ähnliches wie eine Erlösung.
    *
    Pablo und Marielle lagen nackt auf ihrem Bett. Er hatte seinen
Kopf auf ihren Bauch gelegt und horchte auf das Gurgeln in ihren Gedärmen. Und
er roch den Duft ihrer zufriedenen Vagina: Diesen leicht säuerlichen Geruch,
der sich mit dem süßen Gummi-Aroma des Präservativs vermengt hatte.
    Er spürte, wie sie ihm mit der Hand das Haar kraulte.
    Beide schwiegen sie. Es gab auch gar nichts zu sagen. Pablo genoss
die wortlose Stille.
    Sie waren von der Bergtour heimgekehrt, hatten ihr Zeug ausgepackt,
sich eine Wanne einlaufen lassen und ein duftendes und schäumendes
Entspannungs-Elixier dazugegeben. Sie hatten sich nacheinander in die Wanne
gelegt – für zu zweit war die Wanne einfach zu klein –, und danach hatten sie
das getan, was Marielle ihm schon am Vortag beckenwippend angekündigt hatte.
Sie hatten auf die beinahe leise Art des Paares, das schon seit Längerem
vereint ist und wo jeder die Geheimnisse des anderen kennt, miteinander
geschlafen: nicht wild und stürmisch, sondern langsam, leise, innig. Und
verspielt dabei: Mehrfach hatten sie die Stellungen gewechselt, mal war sie auf
ihm, mal er auf ihr gelegen, und Pablo hatte wieder einmal das wunderbare
Gefühl gewonnen, dass sie beide, Marielle und er, überall hervorragend
zusammenpassten.
    Er genoss es sehr, jetzt so zufrieden mit ihr dazuliegen. Es waren
schöne Tage gewesen: Raus aus der Stadt, zur Hütte, über den Gletscher zum
Gipfel. Tausendmal besser als in der Kletterhalle am achten Grad
herumzudoktern. Irgendwer hatte einmal gesagt – und das fiel ihm jetzt ein –,
dass Natur nicht zu überbieten sei.
    »Magst du uns eine Musik anmachen?«, hörte er Marielles Stimme. Sie
sagte es leise, so, als wenn sie die besondere Atmosphäre des Augenblicks nicht
stören wollte. »Irgendwas Schönes.«
    Er stand auf, tapste durchs Zimmer und legte am CD -Player eine Scheibe ein.
    »Katie Melua«, sagte er.
    »Komm wieder«, sagte Marielle. »Drück dich zum Einschlafen an mich.«
    Sie rollte sich im Bett zur Embryohaltung zusammen, Pablo drückte
sich an sie, die Musik war leise und angenehm, und nach ein paar Minuten konnte
er feststellen, dass Marielle gleichmäßig atmete und nicht mehr reagierte, wenn
er ihren Namen hauchte.
    Er aber fand keinen Schlaf. Die Bergtour hatte ihm gutgetan. Der
Abend mit Marielle fraglos auch. Und doch war eine Unruhe geblieben, die er
aber Marielle nicht eingestand.
    Er wälzte sich von ihr weg, legte sich auf den Rücken, verschränkte
die Arme unter dem Kopf, und während Katie Melua das Lied »It’s All in My Head«
sang, grübelte er darüber nach, welche Folgen sein Fehler haben konnte.
    Inständig hoffte er, dass das Treffen von Manczic mit dem großen
Unbekannten nicht weiter von Bedeutung war. Und dass er die Folgen nicht zu
fürchten brauchte.
    In seinem tiefsten Inneren wusste er aber auch, dass etwas passieren
würde. Vielleicht schon passiert war.
    Es dauerte länger als die Musik auf der CD ,
ehe auch er im Einschlafen so etwas wie Erlösung

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