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Gletscherkalt - Alpen-Krimi

Gletscherkalt - Alpen-Krimi

Titel: Gletscherkalt - Alpen-Krimi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan König
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Laune warm oder kalt, alles wegspült.
    Ich denk beim Füßewaschen nicht an die Füße, dachte Marielle. Denk
immer was anderes. Und sie nahm sich vor, am Abend daheim, wenn sie sich den
Schweiß und die schlechten Gerüche vom Körper waschen würde, einmal ganz genau
auf jeden Handgriff zu achten, es also wirklich bewusst zu tun.
    Sie zahlte, nahm die Getränke und kehrte zurück auf die Terrasse.
    »Durst!«, rief ihr Pablo entgegen.
    Sie leerten ihre Krüge in einem Zug bis zur Hälfte und hielten sich
dann nur aus dem einen Grund zurück, weil sie nicht gleich wieder ums nächste
Getränk anstehen wollten.
    Die Dreierseilschaft, mit der sie sich heute zusammengeschlossen
hatten, prostete ihnen mit Bier und Radler zu. Die drei wollten auf der Hütte
übernachten und am nächsten Tag noch eine Tour unternehmen. Marielle und Pablo
hingegen machten sich bald für den Abstieg ins Tal fertig.
    Ihm hat es scheinbar richtig gutgetan, in die Berge zu kommen,
dachte Marielle, als sie hinter ihrem Freund bergab stapfte. Mir hingegen …
    Einen Moment lang hatte sie Angst vor der Nacht, der Dunkelheit, den
Träumen. Doch dann begann sie zu lächeln – sie wusste ein gutes Hausmittel
gegen schlechte Nächte. Es hieß »Pablo«, war nicht verschreibungspflichtig, und
wegen Risiken und Nebenwirkungen bedurfte es keiner Nachfrage beim Arzt oder
Apotheker, sondern nur eines gefühlsechten Gummis oder seiner Selbstdisziplin,
rechtzeitig wieder draußen zu sein aus ihr.
    Marielle begann sich zu freuen.
    *
    Hellwage sah hinunter auf den starken Strahl. Er sah die Wiese,
sah die Nässe in kleinen Tropfen auf den Halmen und den Löwenzahnblättern. Er
schüttelte sein Glied, schaute hinüber zu den Hängen und spürte den Schlag.
    Daran erinnerte er sich jetzt.
    Und dass er im Fallen geglaubt hatte, es wäre ein Schlag auf den
Kopf gewesen, sich im Liegen aber schon nicht mehr sicher gewesen war:
vielleicht doch das Herz. Ein Infarkt. Aus, vorbei, ein paar Atemzüge noch,
dann nichts mehr.
    Aber er war zurückgekehrt aus dem Nichtsmehr.
    Sein Herz schlug, er glaubte, es hören zu können. Er litt
unheimliche Schmerzen – auch das ein Zeichen, dass er lebte. Und er war blind
und voller Angst. Todesangst.
    Unter größten Qualen versuchte er, seine Situation zu analysieren.
Wo er war. Was mit ihm geschehen war. Und: wie sich seine Lage verbessern
lassen würde. Wenn überhaupt.
    Er versuchte wieder, Laute von sich zu geben. Die Stimme hatte etwas
an Kraft gewonnen: »Hilfe … Bitte, hilf mir doch jemand … Hallo! … Ist wer da? …«
    Niemand antwortete. Nichts rührte sich.
    Bin ich in meinem Haus?, dachte Hellwage. Er versuchte, die Beine zu
bewegen und vielleicht mit den Füßen den Boden abzutasten, zu erspüren, ob da
der Teppich lag, an den er sich jetzt erinnern konnte. Aber obwohl er sich an
den Handgelenken aufgehängt fühlte, sein ganzes Gewicht daran zerrte, konnte er
die Beine nicht weit bewegen. Schnell stieß er auf Widerstand, fühlte die
Fußknöchel gebunden wie die Handknöchel, nur dass seine unteren Extremitäten
nicht gedehnt wurden.
    Dann, plötzlich, hatte er zwei Erkenntnisse, die ihm ganz klar vor
dem inneren Auge standen. Eine war gut, so gut, dass er hätte jubeln mögen. Die
andere war schlecht. So schlecht, dass er in die Hose machte und merkte, wie
sein Kot warm und sumpffeucht an seinen Schenkeln entlangglitt.
    Die erste Erkenntnis, die gute, besagte, dass er nicht blind war. Er
war sich ziemlich sicher, dass ihm die Augen verbunden worden waren und dass er
sehen würde, wenn man die Binde entfernte. Ein aufwallendes Glück durchströmte
ihn. Nicht blind zu sein – welch eine Freude!
    Die zweite Erkenntnis, die vom grauenvollen Körpergefühl und einem
enormen Gestank eskortiert wurde, war: Ich bin gefangen! Gefesselt, wehrlos,
hilflos. Irgendjemand hat mich in der Gewalt.
    Warum?
    Er schrie jetzt. Legte alle Kraft, die noch in ihm war, in die
Schreie. Es waren Hilferufe aus seinem malträtierten Körper, voller Schmerz und
auch voller Wut.
    Doch es gab keine Antwort. Keinerlei Reaktion. Sobald seine Stimme
verhallt war, stellte sich wieder Stille ein. Jene Stille, die er aus den
einsamen Stunden in seinem Haus kannte und für die er sich als Gefährten einen
Hund gewünscht hatte.
    Dass mir das jetzt einfällt, dachte er. So etwas Nebensächliches.
Ein Hund … Mit diesem Erinnern kam zugleich eine Ahnung, wo er sich genau
befand. Er gewann eine vage Vorstellung seiner Situation. Er vermaß

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