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Gletscherkalt - Alpen-Krimi

Gletscherkalt - Alpen-Krimi

Titel: Gletscherkalt - Alpen-Krimi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan König
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würde ich wohl machen, wenn mich ein Unfall oder eine Krankheit
derart aus meinem normalen Leben gerissen hätte?, fragte sie sich manchmal.
    Ellen war froh, dass er Hosp anrief, dass er etwas unternahm, dass
seine Depression gerade begann, sich zu lichten wie ein Herbstnebel überm
Inntal.
    *
    Hosp war ein überaus erfahrener Kriminalbeamter. Er war der
Leiter des Innsbrucker Morddezernats – und er war zunehmend überlastet, weil es
schließlich, wie er zu sagen pflegte, meist viel schwieriger ist, einen Mord
aufzuklären, als ihn durchzuführen.
    Es hätte des Anrufs von Schwarzenbacher nicht bedurft, um bei ihm
Zweifel an Spiss’ Selbstmord zu wecken. Aber es tat ihm gut, den früheren
Kollegen zu hören, seine Überlegungen, sein plötzliches Engagement. In den
vergangenen Monaten hatte er ihn stets nur deprimiert erlebt, ohne den
geringsten Auftrieb, ja nicht einmal die Fachsimpelei über Musik und Musiker,
über Platten und CD s hatte die alte Begeisterung
auch nur ansatzweise zu schüren vermocht.
    »Weißt du, was es mit dem Skandal auf sich hat?«, hörte er
Schwarzenbacher fragen. »Es muss da vor langer Zeit etwas gegeben haben.«
    »Bis jetzt weiß ich nichts. Wasle ist dran und recherchiert. Dürfte
nicht allzu schwer sein, das herauszufinden. Aber ich befürchte fast, dass es
eine alte Geschichte ist, die sich vor unserer Zeit ereignet hat.«
    »Derlei alte Geschichten fallen eigentlich in mein Ressort«, gab
Schwarzenbacher zur Antwort, und Hosp war sich fast sicher, dass er dabei
grinste.
    »Du weißt, dass ich während laufender Ermittlungen auch mit dir
nicht über die Fälle sprechen kann«, sagte er. Doch er war sich im selben
Moment bewusst, dass seine Worte leer und kraftlos klangen. Dass ihn
Schwarzenbacher in diesem Augenblick garantiert nicht für voll nahm.
    »Kennst du Johannes Enders?«, fragte Schwarzenbacher.
    Hosp war perplex. Er hätte sich Spott erwartet oder eine andere,
ungehaltene Reaktion.
    »Wer soll das denn sein?«
    »Trompeter. Aus Deutschland. Hab vor einiger Zeit eine CD geschenkt bekommen. Vielleicht hast du Lust, sie mit
mir anzuhören. Müsstest aber schon vorbeikommen bei …«
    Enders, dachte Hosp. Nie gehört. Er tippte den Namen in die
Suchmaschine und wurde rasch fündig. Was spricht dagegen?, dachte er.
    »Spricht nicht allzu viel dagegen«, sagte er zu Schwarzenbacher.
»Wann? … Heute? … Ich weiß nicht, wann ich heute hier wegkomme …«
    Schwarzenbachers Antwort war so lakonisch wie logisch: »Komm, wann
du willst. Ich werd eh da sein.«
    Die Fotos zeigten nichts anderes als einen Selbstmord. Reinhold
Spiss hing am starken Ast einer Buche, keine zehn Meter von der
Fahrbahnbegrenzung der Brenner-Bundesstraße entfernt. Der Tote hing so, dass
man ihn kaum übersehen konnte. Der Baum war ein »Einzelgänger«, der nächste war
bestimmt dreißig Meter entfernt. Der Strick, an dem Spiss hing, war kurz, ein
farbiges Stück Kletterseil, gelb mit einem grünen oder blauen Muster.
    Ellen ertrug solche Bilder nur schwer. Sie ging hinaus, nachdem sie
einen kurzen Blick darauf geworfen hatte.
    Das Stück von der Johannes-Enders- CD hieß »Brooklyn Blue« – ein perkussiver Beginn, überleitend in einen zunächst
meditativen Bläsersound, der aber bald abgelöst wurde von einem treibenden
Groove.
    Hosps Bilder lagen ausgebreitet auf dem Tisch, den Ellen abgeräumt
hatte. Sie zeigten den Erhängten in der Totalen, in einer Supertotalen mit der
Umgebung, aber auch Nahaufnahmen vom Kopf, von den Händen, von den Füßen.
    »Ist nicht schlecht, dieser Enders«, sagte Hosp. »Aber doch mehr
dein Stil, oder?«
    »Wart’s ab«, sagte Schwarzenbacher.
    Er nahm eines der Bilder zur Hand, legte die Lesebrille zur Seite
und hielt es sich dicht vor die Augen. Es war eine der Nahaufnahmen: Der Kopf
im Nacken beinahe rechtwinklig zur Seite geknickt, das Gesicht aufgedunsen, die
geschwollene Zunge wie durch die Lippen gepresst.
    »Schaut immer beschissen aus, so ein Aufgehängter«, sagte
Schwarzenbacher.
    Er nahm ein anderes Foto, eine Totale. Der Tote hing mit leicht vom
Körper weggespreizten Armen etwa einen Meter über dem von dünnem Unterholz
bewachsenen Boden. Einer seiner Schuhe, ein dunkelbrauner Slipper, war ihm vom
Fuß gerutscht und lag zwischen dürrem Geäst. Die Hose wies vom Schritt bis zur
Mitte des linken Oberschenkels einen großen dunklen Fleck auf.
    »Ich würde mich nicht aufhängen«, sagte Schwarzenbacher. »Ich möchte
nicht, dass man mich mit

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