Glueck allein
noch so vernebelt waren, dass ich nicht einen Satz würde lesen oder schreiben können.
Verbotene Küsse
»Wenn man keine Lust hat, wird es immer am besten«, versuchte ich meine Schwester aufzumuntern.
»Mal sehen«, sagte Linda müde. Ich lächelte sie zuversichtlich an, um mein Unbehagen darüber zu verbergen, dass ich sie hierzu überredet hatte. Augenscheinlich war ich die einzige in dieser Stadt gewesen, die es nicht hatte ertragen können, an diesem Wochenende zu Hause zu bleiben. Außer uns war noch kaum jemand da. Dabei sollte es hier jeden Freitag brechend voll sein. Vorstellen konnte ich mir das nicht, denn die Fabrik zeigte ihren Gästen mit den kahlen Wänden und dem rostbraunen Boden ein hässliches Gesicht, das auch durch die vielen grünen Scheinwerfer nicht verschönert wurde. Früher wurden hier riesige Stahlträger bearbeitet und verladen. Heute tanzte man nur noch im Rausch übers Metall.
»Wir sind ein wenig früh«, fügte ich erklärend hinzu, aber Linda reagierte nicht. Ich war erleichtert, als ich Fibi wie eine Antilope auf uns zu hüpfen sah. Im Gegensatz zu meinen anderen Freundinnen hatte sie schon immer zum exklusiven Club der Schlanken gehört.
»Leo ist hier!«, platzte es aus ihr heraus. »Ich habe ihn draußen gesehen. Mit diesem komischen Freund...«
»Robert?«, fragte ich.
»Ja, genau der.« Sie nickte eifrig. »Was willst du jetzt machen?«
Mein Blick verlor sich in der mit silbernen Metallplatten beschlagenen Rückwand der Bar.
Warum war ich nicht, wie ich es mir geschworen hatte, zu Hause geblieben? Wenn mich Leo entdeckte, würde er mich wie eine Hyäne umkreisen. Nach fünf Jahren Gemeinsamkeit fällt das Loslassen schwer. Jede Erinnerung besteht nur aus Zweien und die Zukunft ist beunruhigend leer. Alte Hoffnungen kommen zurück und die Zweifel wechseln die Seiten.
Fibi stand ungeduldig neben mir. Für sie war das Ganze nicht mehr als eine aufregende Begebenheit. Für mich war es der innere Kampf gegen den seltenen, aber doch immer wieder aufflackernden Wunsch, zu Leo zurückzukehren. Zwar hatte ich oft in den letzten Tagen meinen Willen und meine Stärke gerühmt, dass ich ihn, den ewig Unzufriedenen, endlich verlassen hatte. Aber nun, da er hier war, nur wenige Schritte von mir entfernt, er, mein Freund, mein Begleiter, mein Liebhaber für so viele Jahre, war die Sehnsucht wieder da und diesmal größer als je zuvor.
»Emilia, alles in Ordnung?«, fragte Fibi. Ich nickte und erinnerte mich an meine letzte Nacht mit Leo, in der ein Gewitter den Regen gegen meine Fenster schleuderte und Blitze mein Wohnzimmer für Sekunden erhellten. Hatte ich während der ganzen Examensvorbereitung geglaubt, es wäre das viele Lernen, das Leo und mich auseinander hielt, wurde mir in dieser Nacht klar, dass wir einander schon lange verloren hatten.
Leos schlechte Laune war den ganzen Abend wie ein unerträglicher Gestank gewesen und mein Ärger, dass er mir nun, nach dieser monatelangen Tortur, meine Zufriedenheit stahl, wuchs in jeder Minute unseres Schweigens. Als es aus mir herausbrach, blieb er stur und wollte nichts ändern. Erbittert drohte ich, ihn zu verlassen, da knallte es auf meiner Wange. Ich hörte nichts mehr, außer einem Pfeifen auf meinem Ohr. Erinnerungen tauchten auf, ich sah meine Mutter, sah meinen Vater, ihre Hände, groß wie mein Kopf. Tränen ließen Leo verschwimmen. Du kannst nichts dafür, dachte ich und strich über meine Wange. Du wurdest schon als Kind von deinem Vater mit einem Gürtel zerschlagen. Aber das entzündliche Brennen meines Gesichts machte meine Entscheidung, ihn zu verlassen, unabänderlich.
»Ja, es ist alles in Ordnung«, sagte ich mehr zu mir selbst, »aber wenn Leo hier ist, kann ich nicht bleiben.«
Meine Schwester nickte zustimmend. Fibis Blick war lammfromm, aber ich erkannte sofort die Sorge, mich begleiten zu müssen.
»Bleib doch einfach hier, Fibi«, bot ich ihr an, »ich kann mit Linda woanders hingehen.«
Fibi machte ein trauriges Gesicht. »Meinst du wirklich?«
Ich lachte. »Natürlich.«
Zum Abschied blickte mir Fibi ermutigend in die Augen und umarmte mich innig.
»Kann ich noch mal auf Toilette?«, fragte ich meine Schwester, die schon im Gehen begriffen war.
»Ich warte«, sagte sie seufzend und sackte zurück auf den Stuhl.
Auf meinem Weg durch die Halle betrachtete ich die vielen fröhlichen, sorglosen Menschen und beneidete sie. Für sie fing alles erst an, für mich war es schon vorbei. Aber Leo
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