Glueck allein
Sie war hell und weiß und in ihrem Rücken blitzten die Gläser, die wie Soldaten in Reih und Glied aufgestellt waren und bis zur Decke reichten. Weiße Sofas lehnten an den Wänden und luden ein, Platz zu nehmen. Ein gebückter Mann ließ seine Hände über ein sternförmig befestigtes Mischpult huschen und Kronleuchter spendeten warmes Licht. Flammen wurden von einem Projektor auf die Wand geworfen und spiegelten sich in glänzenden Tischen aus Glas. Dies war das mir bisher unbekannte Himmelreich der rostbraunen Halle.
Meine Bewunderung wurde jäh von einem Grölen unterbrochen. An einem Tisch rissen ein paar Männer die Arme hoch und johlten uns mehrstimmig entgegen.
»Das sind meine Arbeitskollegen«, erklärte Jakob und errötete für einen Augenblick um die Nase.
Als wir auf die lärmende Truppe zugingen, sah ich, dass dort fünf Männer unter dreißig im Anzug saßen.
»Schlaraffenland«, zischte ich Linda zu, aber sie sagte nur: »Das ist ja nicht möglich« und sprang ohne eine Erklärung zur Theke, wo sie überschwänglich einen orientalisch aussehenden Mann begrüßte.
»Ein Freund?«, fragte Jakob. Ich zuckte mit den Schultern. Verlieren konnte ich sie hier ja nicht.
Jakobs Kollegen hatten ihre Krawatten gelockert und der oberste Knopf der Hemden war schon geöffnet. Sie waren in ein hitziges Tuscheln verfallen, was jedoch sofort verstummte, als wir den Tisch erreichten. Eifrig wurden für uns Hocker frei gemacht.
»Woher kennt ihr euch?«, fragte ein Mann mit bereits bedenklich glasigen Augen, während er uns schwere Gläser mit einer braunen Flüssigkeit zuschob.
»Aus der Schule«, sagte Jakob und zwinkerte mir zu.
»Aus der Schule?« Der Kollege schielte mich an.
Ich nickte. »Jakob war ein ziemlicher Streber. Hat sich dauernd gemeldet. Der Liebling aller Lehrer.«
»Und sie war aufmüpfig«, gab er zurück und ich lachte, denn er hatte Recht.
Vielleicht war es Whiskey oder Rum oder ein anderer Schnaps, den wir tranken, ich kenne mich damit nicht aus. Für mich schmeckt das alles gleich, brennend und scharf. Aber was es auch war, es rollte uns alle in eine warme, wohlige Decke ein. Es fehlte nur noch der Anlass, diesem Gefühl Ausdruck zu verleihen. Da leerte ein graugesichtiger Kollege sein Glas, schritt von unseren Blicken verfolgt neben den Tisch und begann zu den mediterranen Klängen zu tanzen, indem er seine Arme wie Tentakel um seinen Körper schlängelte und wir schmunzelten vor uns hin. Da erhob sich Glasauge majestätisch und sank mit gefalteten Händen in eine Art von Bauchtanz hinab. Alle lachten laut los und selbst der Tintenfisch ließ seine Tentakel fallen. Es dauerte, bis wir uns beruhigten und Glasauge schenkte jedem neu ein.
So vergingen die Stunden, in denen man alles vergaß und nichts mehr fühlte, bis auf die Vorfreude, die sich in der Nähe von Jakob und mir versteckt hielt. Aber weiß man um das Fallen des ersten Steins, fällt das Warten ganz leicht. Ohne Drang gleitet alles dahin.
Meine Hand hatte schon eine Zeit lang auf dem Tisch gelegen und war wie immer ein wenig kühl gewesen. Doch sie wurde strömend warm, als Jakobs Hand ihr verdächtig nahe kam.
Glasauge versuchte mich zu einem Wodka auf Eis zu überreden, »das ist mir zu stark«, lehnte ich ab, und in diesem Augenblick schob sich Jakobs Hand über meine. Meine Finger wurden heiß und klopften unter seiner Berührung, die uns beide für eine Weile verstummen ließ.
Erst als neue Getränke gebracht wurden, war es mir wieder möglich zu sprechen und auf meine Bitte reichte Jakob mir ein Wasser an. Ich wollte vernünftig sein und nicht wie letztes Mal ununterbrochen Alkohol trinken.
Glasauge wischte sich mit seinem Ärmel den Schweiß von der Stirn. Fahrig zeigte er auf das Tablett. »Geben sie mir mal den Wodka, Herr Baldo!«
Baldo?
Jakob reichte ihm das Getränk.
»Wie heißt du mit Nachnamen?«, fragte ich unruhig.
»Baldo«, antwortete er, »das ist ein französischer Name, er wird Bal-de-aux geschrieben.«
Jakob Baldeaux.
Mein Blick stürzte nach unten. Natürlich. Das war er. Oft hört man dem Leiden anderer zu und alles bleibt in der Ferne, doch wenn ein Name drei Mal fällt, bleibt er gewöhnlich hängen. Und sein Name war dreißig Mal gefallen. Jakob Baldeaux. Der Grund, warum Marias Hintern so dick geworden war.
Als sie ihm damals sagte, dass sie ihn liebte, gab er vor, es nicht bemerkt zu haben und gerade das hatte ich, als Maria mir später immer wieder davon erzählte, nie geglaubt.
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