Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Glueck allein

Glueck allein

Titel: Glueck allein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sylvia Halcour
Vom Netzwerk:
und ich durften uns nicht wieder sehen. Denn selbst bei mir war die Wunde der Trennung kaum verheilt.
    Paarungsbereites Weibchen schminkt sich die Lippen rot, dachte ich, als ich vor dem Spiegel roten Gloss auftrug. Was solls? Dann gehen wir eben woanders hin.
    Im Toilettenvorraum wartete ein behäbiger Mann im weißen Kittel geduldig, während ich auf dem staubigen Boden meiner Handtasche nach Kleingeld wühlte. Plötzlich klimperte Geld auf dem Teller. Ich blickte auf.
    Ein Mann im Anzug, mit hellen, hinter seine Ohren geklemmten Locken und scharfkantigen Wangen, ließ ein Portemonnaie in der Innentasche seines Jacketts verschwinden. Unweigerlich atmete ich ein, aber ich konnte nichts riechen.
    »Ich bezahl für dich mit«, sagte er und schloss sein Jackett. Auf dem Teller blinkte ein Zweieurostück.
    »Danke.« Ich versuchte gelassen zu klingen, aber meine Gedanken waren längst losgerannt.
    »Wie kann ich mich revanchieren?«, fragte ich, wobei mir meine Stimme bei dem Wort »revanchieren« unnatürlich hoch vorkam.
    Sein Blick war klar und direkt. »Mit einem Bier.«
    »Dann wäre das ja hier ein Verlustgeschäft gewesen«, versuchte ich zu scherzen.
    »Abgerechnet wird am Schluss«, sagte er und ich lachte. Natürlich konnte ich meine Schwester einen Moment warten lassen.
    »Warum trägst du einen Anzug, Jakob?«, fragte ich, nachdem er mir seinen Vornamen verraten hatte.
    »Ich geh gleich nach oben in den VIP-Bereich«, sagte er.
    »Oh... VIP-Bereich«, wiederholte ich. Zwei Flaschen wurden uns angereicht und wir stießen an. »So was gibts hier?«
    »Ja, siehst du da die Eisentreppe, rechts, zwischen den beiden Tischen? Da geht es hoch. Soll wirklich schön sein da oben. Ein Kollege hat einen Tisch reserviert.«
    Seine Wangen beulten sich für einen Moment mit Bier. »Willst du mit?«
    Ich gab vor, nicht ganz zu verstehen.
    »Wenn du mitkommen willst, nach oben«, sagte er, »ich kann dich mitnehmen.«
    Unentschlossen blickte ich zur Seite. »Ich bin mit meiner Schwester hier.«
    Er lachte. »Nimm sie doch mit.«
    »Na gut, überredet, warte«, sagte ich und kämpfte mit einem Grinsen, »ich muss sie erst fragen. Warte, sie steht da hinten. Ich bin gleich zurück.«
    Meine Hand legte sich auf Lindas Rücken. »Du glaubst nicht, was mir gerade passiert ist.« Aufgeregt sah ich sie an. »Ich habe einen Mann kennengelernt, auf Toilette, wir haben zusammen ein Bier getrunken.«
    »Was?« Sie war verwirrt.
    »Er heißt Jakob und hat tolle Haare. Eine richtige Löwenmähne.«
    »Du hast jetzt in den fünf Minuten einen Mann kennengelernt?«
    »Ja.«
    »Auf Toilette?«
    »Ja, Linda, er wartet an der Bar.«
    Wenn er noch da ist, glühten Zweifel in mir auf, aber ich beschloss, ihnen keine Beachtung zu schenken.
    »Und das beste ist«, erklärte ich feierlich, »er nimmt uns in den VIP-Bereich mit. Linda, wir müssen nicht woanders hin, wir gehen einfach eine Etage höher.«
    »Von mir aus«, sagte sie und für eine Sekunde huschte ein Lächeln über ihr Gesicht. Ich nickte, als hätte ich mein Werk zufriedenstellend vollendet.
    Jakob stand noch dort, wo ich ihn verlassen hatte. Erleichtert stellte ich ihm Linda vor. Hintereinander gingen wir zur geheimnisvollen Eisentreppe.
    Am Treppengeländer lehnte ein stämmiger, dickbackiger Mann, der seinen Fuß auf der ersten Stufe abgestellt hatte. Jakob ging auf ihn zu, sagte ein paar Worte, zeigte ein weißes Armband, dann auf uns. Der Mann musterte uns Frauen. Ich mochte nicht, wie er es tat, und drehte mich weg.
    Innerhalb von einer Sekunde sah ich Leo. Er lehnte am Eingangstor, vielleicht wartete er auf Robert. Seine schwarze Jacke musste neu sein, ich kannte sie nicht. Er hatte die Hände in den Taschen und sah in die Halle hinein. Man hätte ihn malen können, es wäre ein ausdrucksstarkes, trauriges Bild gewesen. Plötzlich traf mich erneut die Sehnsucht nach ihm, nach seiner Wärme, seinem Körper. Dabei hatte ich seit Monaten nicht mehr mit ihm schlafen wollen.
    Robert kam und warf lachend seinen Arm um Leo, der sich mit der flachen Hand unterm Auge rieb. Er war verlegen.
    »Komm«, sagte Linda. Der Türsteher war zur Seite gegangen. »Mach es gut, Leo«, flüsterte ich und ließ ihn ziehen. Wir waren wie zerrissenes Papier, zwei Schnipsel auf der Suche nach Glück.
    Der VIP-Bereich empfing uns mit mediterranen Klängen. Der Boden war ein Schachbrett aus Stein und wir drei, der König, die Dame und ein Springer gingen mit großen Augen an der leuchtenden Bar vorbei.

Weitere Kostenlose Bücher