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Glück, ich sehe dich anders

Glück, ich sehe dich anders

Titel: Glück, ich sehe dich anders Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melanie Ahrens
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diagnostiziert, und ich erhielt entsprechende Medikamente.
    Erst im vierten Monat, nachdem ich im Büro einen Kreislaufzusammenbruch erlitten hatte, wurde die Schwangerschaft festgestellt. Ich musste sofort zu einem Spezialultraschall nach Hamburg, um sicherzugehen, dass mit dem Baby – auch nach der Medikamenteneinnahme – alles in Ordnung war. Der Ultraschall ergab keinen Grund zur Besorgnis, Rolf und ich freuten uns auf unser erstes gemeinsames Kind. Ich begann sofort, das Kinderzimmer herzurichten, kaufte Janosch-Lätzchen, eine Janosch-Kuscheldecke und alles, was man für ein Baby braucht. Unser Kind sollte sich willkommen fühlen.
    Schwanger und glücklich trat ich im Mai vor den Traualtar. Wir feierten mit einhundertzehn Gästen bis morgens um acht. Es war eine Hochzeit wie aus dem Bilderbuch, mit Pferdekutsche, sonnigem Wetter und freudestrahlenden Gesichtern.
    Die Schwangerschaft verlief insgesamt ohne besondere Beschwerden, und in einer Julinacht – zum Endspiel der Fußballweltmeisterschaft – kam unsere Tochter Louise auf die Welt. Es war eine Geburt ohne irgendwelche Komplikationen.
    Rolf und ich waren glücklich wie noch nie.

DIE ERSTEN TAGE IN DER KLINIK
    L ouise wurde gleich nach ihrer Geburt auf die Kinderintensivstation verlegt. Sie war zusehends blau angelaufen und hatte nicht richtig getrunken. Rolf und ich machten uns Sorgen, aber wir ahnten nicht, was tatsächlich auf uns zukommen sollte. Wie ich im Nachhinein erfuhr, wurden von den Ärzten Organschäden befürchtet, die bei Kindern mit Down-Syndrom typisch sind: Herz-, Nieren-, Lungenfehler.
    Die Diagnose am nächsten Tag traf uns wie ein Schlag. Ich mochte Louise gar nicht mehr anfassen, auch stillen konnte ich sie nicht. Ich ekelte mich davor. Wenn sie vom Wickeltisch fallen würde, wäre es nicht schlimm. Vielleicht ist sie dann erlöst!, dachte ich insgeheim.
    Rolf sagte immer wieder: »Das pack ich nicht. Das pack ich einfach nicht.« Doch er überwand seine Ängste und Zweifel und schaffte es besser als ich, eine Beziehung zu dem Kind aufzubauen.
    Sobald die Schwestern es erlaubten, wusch, wickelte und fütterte er Louise. Wenn sie an seiner Nase nuckelte, wusste er, dass sie Hunger hatte.
    Als unsere Eltern ins Krankenhaus kamen, schienen sie sich zu freuen und sagten, Louise sei sehr niedlich. Ich war mir sicher, dass sie uns etwas vorspielten. Schließlich hatten mir dir Ärzte eindeutig zu verstehen gegeben, dass das Kind, das ich geboren hatte, nicht in Ordnung war. Noch immer traute ich mich kaum, Louise anzuschauen.
    Rolf nahm mich sobald wie möglich mit nach Hause. Wir waren der Ansicht, Louise würde gut von den Ärzten und Schwestern betreut werden. Rolf, der eine Woche Urlaub hatte, und ich besuchten Louise zunächst zweimal täglich.
    Zu Hause blätterte ich im Lexikon und in anderen Büchern, um mich über das Down-Syndrom zu informieren. Ich suchte den Begriff, fand aber keinen Eintrag oder Hinweis. Da der Arzt auch von »Mongo-Kindern« und »Mongo-Babys« gesprochen hatte, schlug ich unter »Mongolismus« nach und wurde fündig. Folgende Stichworte brannten sich mir nach wiederholtem Lesen ein: überzähliges Chromosom, bedingte angeborene geistige Entwicklungshemmung mit Kurzschädel, Mongolenfalte, Schlitzaugen, Unterfunktion der Schilddrüse.
    Plötzlich erinnerte ich mich an ein schwarzhaariges Mädchen, das ich einmal vor einem Kaufhaus gesehen hatte. Es war sehr klein und dick, hatte anscheinend gar keinen Hals, wirkte gedrungen, blass und hatte auffällige Schlitzaugen. Bestimmt ein Mädchen mit Down-Syndrom, dachte ich. Ich mochte das Mädchen damals nicht, und auf einmal hatte ich nur noch Angst, Louise würde später ebenfalls so aussehen und keinen Hals haben.
    Ich hatte noch immer den Wunsch, Louise möge sterben.
    In einer Nacht träumte ich von einem Clown. Er hatte keinen Hals, drehte seinen Kopf wie eine Eule, wirbelte ihn im Kreis, schneller, immer schneller, bis nur noch rote und weiße Streifen zu sehen waren. Dann zerplatzte der Kopf.
    Bei den Besuchen in der Klinik starrte ich Louise zuerst verängstigt an. Ihr Gesichtsausdruck erschreckte mich jedes Mal aufs Neue. Ihre schräg stehenden Augen waren schmal wie Schlitze, dabei aber auch aufgequollen. Die Ohren saßen weit unten am Kopf, die Zunge hing aus dem Mund, und der Hinterkopf war nahezu platt. Die vielen Schläuche und Apparate ließen alles noch grauenvoller erscheinen.
    Louise röchelte erbärmlich.
    Sie musste bereits in den ersten

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