Glück, ich sehe dich anders
beschäftigte. Dort waren unter anderem betroffene Eltern, Studenten und Lehrer, Ärzte und Krankengymnasten angemeldet, die gegenseitig ihre persönlichen Erfahrungen rund um das Down-Syndrom austauschten. Zu vielen hielt ich jahrelang einen sehr engen Briefkontakt. Mit Betroffenen aus der näheren Umgebung, die ich ebenfalls im Netz kennen lernte, trafen wir uns auch.
Ich lernte eine Frau kennen, die allein erziehend war. Sie hatte durch das Down-Syndrom ihres Sohnes jahrelange Erfahrung und konnte mir – besonders im Umgang mit den Behörden – viele nützliche Tipps geben, zum Beispiel bei der Formulierung von Widersprüchen. Ihre große Hilfe verhalf uns zu einiger finanzieller Unterstützung.
Eine sehr innige Freundschaft verband mich mit einem älteren Herrn, der mit seiner Familie an der Ostsee wohnte. Seine Enkelin hatte ein Down-Syndrom. Sie war noch sehr klein. Opa Artur – so hatte ich ihn getauft – setzte sich sehr für das Kind ein. Er erledigte sämtlichen Schriftwechsel mit Behörden für seine Tochter. Das imponierte mir. Er hatte die gleiche Wellenlänge wie ich. Wir vertraten die gleichen Ansichten und merkten, dass wir viele gemeinsame Interessen hatten und auch eine Reihe gleicher Probleme zu bewältigen.
Endlich fühlte ich mich nicht mehr allein. Ich war nicht die einzige Mutter mit einem behinderten Kind. Dieser Gedanke ließ mich Mut fassen.
GESUNDER LEBENSBEGLEITER
U nsere Pläne, ein Haus ganz nach unserem Geschmack zu bauen, hatten in der Zwischenzeit Gestalt angenommen, und der erste Spatenstich war längst getan. Rolf und sein Vater arbeiteten jede freie Minute an unserem Traum, unterstützt von Rolfs Schwester Silke und anderen fleißigen Helfern. Ich übernahm lediglich ein wenig die Regie, denn ich wollte mich schonen. Ich hatte zu dieser Zeit andere Sorgen: Ich war erneut schwanger – und die Angst groß, dass mit dem Fötus etwas nicht in Ordnung sein könnte.
Nach einer Vorsorge-Untersuchung bei meinem Frauenarzt bestätigte mir dieser dann meine Befürchtungen. Er riet mir zu einem Abbruch, weil der Fötus nicht richtig wachsen würde. Ich war sehr enttäuscht, entschied aber, dass das Baby in meinem Bauch dann eben wegmusste. Und danach würde ich auch kein weiteres Kind mehr bekommen. Ohne irgendeine Hoffnung begab ich mich zur Untersuchung ins Krankenhaus, in dem ich auch bereits Louise entbunden hatte. Dort würde eine Fruchtwasser-Untersuchung noch einmal bestätigen, dass mit dem Fötus etwas nicht stimmte, dachte ich. Doch die Ärzte teilten mir mit, das Baby – ein Mädchen – sei gesund. Gesund? Im ersten Moment konnte ich mich nicht einmal freuen, weil ich so durcheinander war. Ich hatte mich doch bereits mit dem Gedanken abgefunden, dass ein Schwangerschaftsabbruch gemacht werden musste. Ich konnte das Ergebnis nicht fassen.
Die Freude über die neue Schwangerschaft stellte sich dann aber nach und nach ein, und so erwarteten wir einen »gesunden Lebensbegleiter« für Louise, die im Juli 1999, zwei Monate vor dem errechneten Geburtstermin, ihren ersten Geburtstag feierte.
Im September 1999 kam dann Loreen, unsere zweite Tochter, per Kaiserschnitt auf die Welt.
Ich musste noch eine Woche lang mit Loreen im Krankenhaus bleiben, und Rolf kam jeden Tag in die Klinik, um nach uns zu sehen. Louise durfte zweimal mit. Als Rolf und Louise weggingen, brach ich in Tränen aus. Ich vermisste Louise sehr und machte mir Gedanken, dass sie sich vernachlässigt fühlen könnte. Ich dachte, sie hätte nun gesehen, dass ihre Mama sich mit einem anderen Kind abgibt und sich nicht mehr um sie kümmert. Ich war froh, als Loreen und ich endlich nach Hause durften.
Louise freute sich sehr, eine kleine Schwester bekommen zu haben. Sie krabbelte sofort zu Loreen hin und bot ihr ihren Schnuller an. Louise holte alle ihre Teddys, Rasseln und Spieluhren, brachte sie Loreen und legte sich zu ihr auf die Kuscheldecke am Boden. Meine Angst, Louise könne auf die neue Mitbewohnerin eifersüchtig sein, war völlig unbegründet. Im Gegenteil, Louise hieß Loreen willkommen und hatte sie sofort akzeptiert.
Loreen war von Beginn an ein sehr schwieriges Kind. Sie schrie viel und zappelte ständig herum. Sie schlief auch sehr schlecht. Nachts war sie oft von ein Uhr bis sechs Uhr wach und weinte. Richtig panikartig schreckte sie sonst beinahe stündlich hoch und schrie dann für dreißig Minuten. Von allein beruhigte sie sich nie. Sie weinte, strampelte heftig und robbte so in ihrem Bett
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