Glück, ich sehe dich anders
anfängliche Situation mit Louise vor mir. Ich konnte nichts sagen. Ich dachte nur, das kann nun wirklich nicht sein. Die irren sich ganz bestimmt. Außerdem war doch eine Fruchtwasseruntersuchung gemacht worden. Und die war negativ ausgefallen. Behindert konnte sie nun wirklich nicht sein. Die Ärzte gaben mir einen erneuten Termin für eine Untersuchung, bei der eine so genannte Chromosomenanalyse gemacht werden sollte, die diesen Verdacht bei Loreen bestätigen würde oder auch nicht. Ich ließ mir den Namen des Syndroms noch einmal deutlich sagen. »Wilhams-Beuren-Syndrom.«
Zu Hause setzte ich mich sofort an meinen Computer und suchte im Internet nach Informationen über dieses Syndrom. Ich gelangte schnell zu einer Seite mit vielen Fotos, auf denen Kinder abgebildet waren, die das Wilhams-Beuren-Syndrom hatten. Ich erstarrte beim Anblick der Gesichter, denn es waren einige Kinder abgebildet, die Loreen zum Verwechseln ähnlich sahen. Ein Mädchen hätte ihre Zwillingsschwester sein können. Ich druckte mir die Bilder aus und zeigte sie Rolf, als er von der Arbeit nach Hause kam. Er sagte sofort, dass sie alle wie Loreen aussehen würden. Ich erzählte ihm von der Untersuchung – und schließlich auch von dem Verdacht. Doch noch hatten wir auch ein wenig Hoffnung, dass sich alles zum Guten wendete.
Die Ärzte hatte Loreen eine Blutprobe für eine Chromosomenanalyse entnommen, und nach ein paar Tagen wurde der Verdacht auf ein Williams-Beuren-Syndrom, das wie das Down-Syndrom eine geistige Behinderung ist, bestätigt. Loreen war zum Zeitpunkt der Diagnose neun Monate alt. Ich erinnerte mich daran, als der Frauenarzt der Gynäkologie nach meiner Fruchtwasseruntersuchung stolz zu mir gesagt hatte: »Herzlichen Glückwunsch, Sie bekommen diesmal ein gesundes Kind!«
Ich rief diesen Arzt an und erzählte ihm von der Diagnose. Und ich sagte ihm: »Unser Kind ist gesund mit Behinderung und gesund mit Herzfehler.«
Der Arzt erklärte mir, dass bei einer Fruchtwasseruntersuchung nicht alle Behinderungen festgestellt werden könnten, und man habe nur auf das Down-Syndrom hin untersucht, weil das eben schon einmal bei uns vorgekommen sei. Es gäbe auch nur wenige andere Auffälligkeiten, wie beispielsweise ein offener Rücken, die auf diese Weise diagnostizierbar wären.
Es war schon schwer genug für mich gewesen, meinem Mann zunächst von dem Verdacht der Ärzte zu berichten. Nun musste ich ihm sagen, dass auch Loreen eine geistige Behinderung hatte. So richtig glauben konnten wir es beide nicht. Wir standen mal wieder unter Schock. Es begleitete uns häufig die Frage: Wie kann das sein? Gleich zwei geistig behinderte Kinder? Warum haben andere fünf gesunde Kinder und wir keines? Die Antwort darauf konnte uns niemand geben. Nach dem, was mein Biologielehrer uns damals erklärt hatte, hätten Rolf und ich ja Bruder und Schwester sein müssen. Wir bestanden darauf, dass auch von uns eine Chromosomenanalyse und gründliche Untersuchungen gemacht wurden. Diese ergaben, dass keiner von uns einen Defekt in sich trug. Beide Behinderungen unserer Mädchen waren zufällig passiert, eine – ja sogar zwei – Launen der Natur. Wir glaubten nicht an Zufälle. Diese beiden Kinder waren für uns bestimmt. Irgendjemand wollte wohl mal sehen, ob wir das durchstehen können.
ÜBERFORDERT
B ereits vor Loreens Herzuntersuchung hatten wir uns immer größere Sorgen um Louise gemacht. Ihre Brechattacken waren immer heftiger geworden und hatten sich bedenklich gehäuft – Louise erbrach regelmäßig täglich vier Stunden nach Einnahme von Mahlzeiten durch Nase und Mund. Da unsere Bemühungen in der Umgebung bisher kein Ergebnis gebracht hatte, suchten wir eine Klinik in einem anderen Bundesland auf.
Dort stellte man fest, dass bei Louise bereits von Geburt an der Zwölffingerdarm an einer Stelle verschlossen war. Sie musste sofort operiert werden. Während der vierstündigen OP konnte ich mich vor Angst, Louise könne etwas passieren, kaum beruhigen. Zum Glück verlief der Eingriff gut. Aber es war insgesamt eine schwere Zeit für Louise und uns. Es war furchtbar, sie derart leiden zu sehen. Die Narkose und die OP hatten sie sehr geschwächt, und der Krankenhausaufenthalt ließ die Erinnerungen an die Zeit im Krankenhaus, als Louise zur Welt gekommen war, wieder aufleben.
Als wäre es noch nicht genug, litt Louise wieder einmal an starkem Pseudokrupp, bellte wie ein Hund, und ihre Atmungsorgane waren bald sehr angegriffen. Sie
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